Ein Friedensgegner findet sich immer

In Irakisch-Kurdistan wird trotz Waffenstillstandsabkommen geschossen. Kaum hatten sich die beiden Parteien KDP und PUK geeinigt, die Waffen ruhen zu lassen, griff die PKK die KDP an  ■ Aus Atrusch Helen Feinberg

Der heiße Sommerwind hat die weißen Zelte mit einer dicken, lehmfarbenen Schicht überzogen, den Rest haben die BewohnerInnen selbst erledigt. Zum Schutz gegen die drückende Hitze haben sie vor und über die Zelte Laubhütten gebaut, so daß sich die Zeltstädte bei Atrusch kaum von jedem anderen kurdischen Dorf unterscheiden. Nur die UNO-Plastikplanen, mit denen die Toiletten errichtet wurden, stechen wie blaue Farbkleckse aus der Ebene hervor und zeugen davon, daß es sich um Flüchtlingslager handelt. 14.000 KurdInnen aus der Türkei leben mittlerweile in dem in Irakisch- Kurdistan gelegenen Lager. Sie sind vor dem Krieg zwischen türkischem Militär und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in den seit dem Frühjahr 1991 von irakischen Kurden autonom verwalteten Norden Iraks geflohen.

Die Wachtposten an den Checkpoints der irakisch-kurdischen Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) sind nervös. Argwöhnisch beobachten sie jede Bewegung in der Nähe der beiden Camps. BesucherInnen brauchen eine schriftliche Genehmnigung des kurdischen Gouverneurs von Dohuk, um in die Lager zu kommen. Ohne ausdrückliche Erlaubnis darf niemand die Camps verlassen. „700 bewaffnete Personen haben Camp 4 verlassen“, behauptet der Vertreter im Informationsbüro des KDP-Hauptquartiers in Salahaddin. Nach seiner Darstellung haben sie sich der PKK angeschlossen. Die vor allem in Türkisch-Kurdistan kämpfende Guerilla hat der KDP den Krieg erklärt.

Im August einigten sich die verfeindeten irakisch-kurdischen Parteien, Patriotische Union Kurdistans (PUK) und KDP, in Irland auf ein Waffenstillstandsabkommen. Wenige Tage später begannen PKKler mit Angriffen auf KDP-Niederlassungen und Dörfer, die als Stützpunkt der KDP gelten. Fast jede Nacht kommt es seitdem zu Kämpfen. 40 Menschen sollen dabei getötet und über 50 verletzt worden sein, darunter auch ZivilistInnen.

Das Camp A liegt wenige Kilometer von der Hauptstraße entfernt am Südhang der Gara-Berge; 5.000 Flüchtlinge aus Türkisch- Kurdistan leben hier. Der Wachtposten muß beim Flüchtlingskomitee nachfragen, bevor BesucherInnen durchgelassen werden.

Die Anschuldigung, LagebewohnerInnen hätten sich Einheiten der PKK angeschlossen, wird hier zurückgewiesen. „Wir haben unsere Kinder auf dem Rücken hierher getragen“, sagt der Sprecher des Flüchtlingskomitees. „Wenn wir die fünf- bis sechstausend Dinar für eine Kalaschnikow hätten, würden wir sie für unsere Kinder ausgeben.“

Auch bei den Hilfsorganisationen, die in den Camps arbeiten, kann niemand die Anschuldigungen bestätigen. „Wir haben nichts dergleichen gesehen“, sagt ein Mitarbeiter von „Human Rights Asia“. Und auch der Gouverneur von Dohuk, Abdulasis Tayb (KDP), räumt ein: „Wir haben keine Beweise, aber etliche Hinweise.“ „Sie behandeln uns wie Geiseln“, klagt der Flüchtlingssprecher. „Wir dürfen nicht einmal zum anderen Camp.“

Die Ausgangssperre sei zur Sicherheit der Flüchtlinge verhängt worden, erklärt dagegen der Bürgermeister von Atrush, Muhammad Hadschani. Unter den Flüchtlingen macht man kein Geheimnis aus den Sympathien für die PKK. „In unserem politischen Überzeugungen stehen wir der PKK nahe“, sagt ihr Sprecher. „Aber wir sind keine Kämpfer, wir sind Flüchtlinge.“

In der vergangenen Woche haben türkische Kampfflugzeuge die Nordseite der Gara-Berge bombardiert. Angeblich waren sie auf der Suche nach PKK- Stützpunkten. Die Oberservierungsflüge türkischer Flugzeuge und Helikopter haben drastisch zugenommen. Berichte, wonach Einheiten der KDP gemeinsam mit türkischen Soldaten kämpfen sollen, wurden bislang jedoch nicht bestätigt. KDP-Chef Massud Barsani fordert von den anderen irakisch-kurdischen Parteien Unterstützung im Kampf gegen die PKK. Die reagieren jedoch zurückhaltend.

Die PUK von Dschalal Talabani zieht bisher als einzige Partei Nutzen aus dem Krieg. Zum einen verbessert sich damit ihre Verhandlungsposition gegenüber der KDP – heute soll über die weiteren Modalitäten eines Friedensvertrages zwischen KDP und PUK verhandelt werden –, zum anderen wird der Kriegsschauplatz in die Badinan-Region verlagert, in der die KDP bislang unangefochten die Macht hatte. Während sich die PUK-Spitze in dem Konflikt offiziell neutral verhält, freut man sich an der Basis insgeheim über jeden Erfolg der PKK gegen die KDP.