Strategische Nebelkerzen

■ Chirac lenkt von der eigentlichen Frage ab

Frankreichs Präsident Jacques Chirac bringt absichtlich einiges durcheinander. Regierungen in aller Welt regen sich über die Entscheidung des Gaullisten auf, 50 Jahre nach Hiroshima unbedingt Atombomben testen zu wollen. Die Staaten der Pazifikregion fühlen sich durch die Tests vor ihrer Haustür hintergangen und als Kolonialgegend behandelt. Die Staaten Europas, deren Meinung nicht gefragt war, wehren sich dagegen, als europäische Freunde für die Atombombentests in Anspruch genommen zu werden. Und Staaten wie Japan und Rußland befürchten, daß mit der französischen Entscheidung die nukleare Abrüstung unterlaufen wird. Japan zum Beispiel versucht zur Zeit mit fast allen Mitteln, China von der Notwendigkeit eines totalen Teststoppabkommens zu überzeugen.

Doch Chirac ignoriert all dies und baut statt dessen Pappkameraden auf. Erster Pappkamerad: Australien und Neuseeland. Die beiden Staaten hätten sich gegen Frankreich verschworen, um die Grande Nation aus der Region hinauszuwerfen. Die Tests böten den Regierungen in Canberra und Wellington dazu einen willkommenen Anlaß. Abgesehen davon, daß sich die beiden Regierungen trotz des französischen Staatsterrorismus (Beispiel: Versenkung der Rainbow Warrior I) um eine Verbesserung der Beziehungen bemüht haben, können sie gar nicht über Frankreichs Rolle im Pazifik entscheiden. Die wird weit stärker vom Verhältnis Frankreichs zu Japan und den Asean-Staaten bestimmt. Das weiß auch Chirac.

Zweiter Pappkamerad: Die Opposition gegen die Force de frappe. Die Opposition gegen die Atomtests richte sich eigentlich gegen die französische Verteidigung an sich. Wer aber Frankreich in einer unsicherer werdenden Welt die Force de frappe, seine atomare Verteidigung wegnehmen wolle, beschwöre die dreißiger Jahre erneut herauf. Was etwa, so fragt Chirac, wenn in Rußland ein Diktator das Ruder übernähme? Der Gaullist ignoriert, daß niemand mit Frankreich seine Force de frappe diskutieren will.

Das Schattenboxen des französischen Präsidenten wäre nur ein Schauspiel am Rande der Tests. Wäre da nicht dieser immer lauter werdende gefährliche Unterton. Ein Atomtest- Programm, das sich explizit gegen Rußland richtet, bombt Frankreich und die Welt auf dem direkten Weg in den Kalten Krieg zurück. Mit dem nicht unwesentlichen Unterschied, daß diese Welt inzwischen komplizierter ist als zu Zeiten Breschnews. Hermann-Josef Tenhagen