Kein Ende der Nato-Angriffe in Sicht

■ Rußland verschärft seine Kritik am Nato-Einsatz in Bosnien. Serben-Führer Karadzic droht mit Ausstieg aus den Friedensverhandlungen. Vertreibungen von Muslimen, Kroaten und Serben gehen weiter

Sarajevo/Zagreb (dpa/AFP/rtr/ taz – Nato-Kampfflugzeuge haben gestern wieder serbische Stellungen in Bosnien angegriffen. Auch die Artillerie der Schnellen Eingreiftruppe am Berg Igman griff in die Kämpfe ein. Nach UN-Angaben wurde die Waffenfabrik im Vorort Vogosca dem Erdboden gleichgemacht. Auch die Kasernen von Lukavica im Süden Sarajevos und Stellungen um Banja Luka waren wieder Ziel der Angriffe. Ein Nato-Sprecher in Neapel bestätigte, daß die Angriffe ohne Pause fortgesetzt würden. Tomahawk- Marschflugkörper seien nicht eingesetzt worden, stünden der Allianz aber weiter zur Verfügung. Die USA planen nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Washington, Tarnkappenbomber nach Italien zu verlegen. Diese Bomber können von der feindlichen Luftabwehr nicht erfaßt werden. Sie waren ebenso wie die Marschflugkörper zuletzt im Golfkrieg eingesetzt worden.

Seit dem 30. August flogen Nato-Piloten über 3.000 Einsätze. Italienische Zeitungen berichteten unter Berufung auf die Nato, 60 Prozent der ursprünglich festgelegten 90 Ziele seien zerstört worden.

Die bosnischen Regierungstruppen haben die Schwächung serbischer Verbände durch die Nato-Angriffe zum Vormarsch in Zentralbosnien genutzt. Wie Radio Sarajevo berichtete, eroberte die Armee den serbischen Stützpunkt Vozuca. Sie kontrolliert damit die Straße zwischen Zenica und Tuzla. Bosnische Truppen geben an, insgesamt 140 Quadratkilometer Land erobert zu haben.

Rußland hat das militärische Vorgehen der Nato erneut scharf kritisiert. Das Außenministerium warf dem Westen gestern „Dominanzgebaren“ vor. Die Nato mache Bosnien zum „Testgelände ihrer neuen Rolle“ in Europa. Am Montag abend hatte Rußland beim UN-Sicherheitsrat eine Resolution vorgelegt, in der die sofortige Einstellung der Nato-Luftangriffe gefordert wird. Die Führung der bosnischen Serben hatte Rußland zuvor aufgefordert, von der Nato ultimativ ein Ende der Operationen gegen bosnisch-serbische Stellungen zu verlangen. In der vergangenen Woche hatte Präsident Boris Jelzin angekündigt, die Hilfeleistungen für die bosnischen Serben auszuweiten, sollte die Nato ihre Angriffe fortsetzen.

Serbenführer Radovan Karadžić hat unterdessen in einem Brief an die Präsidenten Rußlands und der USA damit gedroht, daß sich die bosnischen Serben nicht mehr am Friedensprozeß beteiligen würden, wenn die Nato-Angriffe weitergingen.

Die kroatische Regierung ist zu einer einjährigen Übergangslösung bis zur vollständigen und friedlichen Rückgabe der serbisch kontrollierten Gebiete Ostlawoniens bereit. Das erklärte Außenminister Mate Granić bei einem Besuch in Washington.

In Bosnien und Kroatien werden weiterhin Angehörige aller drei Volksgruppen Opfer von Vertreibungen. Nach UN-Angaben wurden gestern 755 Flüchtlinge aus Banja Luka über den Grenzfluß Save nach Kroatien gebracht. Seit August sind 15.000 Menschen aus der Stadt vertrieben worden.

Auch in der Krajina halten „Brandschatzungen, Plünderungen und die Einschüchterung der serbischen Bevölkerung“ an. Allein im Dorf Rakovica Poljana haben UN-Beobachter am Montag 21 gerade erst ausgebrannte Häuser gesehen. Seit der Rückeroberung der Krajina fanden UN-Angehörige mehr als 60 Leichen von Zivilisten. gb