Auf die Gewißheit folgten nagende Zweifel

■ Der Verteidiger von Markus Gartmann, der im Solingen-Prozeß sein Geständnis widerrief, plädiert auf Freispruch und demonstriert innerliche Zerrissenheit

Düsseldorf (taz) – „Ich wollte verhindern, daß ein Schuldiger mit einem falschen Widerruf in sein Verderben rennt. Vielleicht habe ich aber dazu beigetragen, daß ein unschuldig Angeklagter an einem falschen Geständnis festhält.“ Diese Worte von Sigmund Benecken dokumentieren eindringlich die innerliche Zerrissenheit des Mannes, der als Verteidiger des 25jährigen Markus Gartmann eineinhalb Jahre lang „nicht den leisesten Zweifel“ an dessen Schuld hegte.

Immer wieder hatte Gartmann ihm gegenüber gestanden, zusammen mit den drei übrigen Angeklagten den Solinger Brandanschlag begangen zu haben, bei dem im Mai 1993 fünf türkische Frauen und Mädchen ums Leben kamen. Zweifel an der Schuld seines Mandanten – des einzigen Angeklagten, der zur Tatzeit volljährig war – quälen Benecken seit dem 21. März dieses Jahres. An diesem Tag widerrief Gartmann sein Geständnis. In seinem gestrigen Plädoyer beschrieb Benecken seine heutige Position so: „Ich bin zwar nicht von der Unschuld der vier Angeklagten überzeugt, aber ich habe Zweifel.“

Zwar habe die Bundesanwaltschaft die Anklage zu Recht auf das Geständnis von Gartmann und das dazu passende, in Polizeiprotokollen dokumentierten „Täterwissen“ des Angeklagten Reher aufbauen können, aber nach der Beweiserhebung im Prozeß sei von „diesen zwei Säulen“ nicht mehr viel geblieben. Benecken wörtlich: „Ich habe nichts mehr, woran ich die Richtigkeit des Geständnisses festmachen könnte.“

Die Verhandlung habe allen Prozeßbeteiligten gezeigt, daß das Aussageverhalten von Gartmann „nicht normal ist“. Das erwecke in ihm Zweifel, und er halte es inzwischen „für möglich, daß ein Unschuldiger diese Tat gesteht, ohne geisteskrank zu sein“. Er sei zwar auch heute noch der Meinung, „daß ein erheblicher Tatverdacht“ bestehe, aber, so fuhr Benecken mit Blick auf den Senat fort, „zwischen Tatverdacht und der richterlichen Überzeugung, die sie haben müssen, um die Angeklagten zu verurteilen, liegt eine Spanne“. Deshalb sei sein Mandant freizusprechen.

Für den „Eventualfall“ einer Verurteilung plädierte Benecken danach auf eine befristete Freiheitsstrafe, denn „ohne das Geständnis wäre hier gar nichts gelaufen“. Daran ändere auch der Widerruf nichts. Den habe der Senatsvorsitzende Steffen im übrigen durch seine das Geständnis immer wieder anzweifelnde Befragung mitzuverantworten. Sollte sein Mandant unschuldig sein, habe sich der Senat dadurch „große Verdienste erworben“. Die Bundesanwaltschaft hatte mildernde Umstände für Gartmann abgelehnt und für den 25jährigen eine lebenslange Freiheitsstrafe gefordert. Walter Jakobs