Genialer Trauerkloß

■ Der Mann, der niemals lachte: Buster Keatons Komik kommt ins Kino 46

Zum Schluß fügt sich alles zum besten: Nach vielen hochkomischen Anstrengungen hat der unsportliche Musterschüler Buster seiner Freundin bewiesen, daß er, wenn es wirklich drauf ankommt, besser laufen, springen und boxen kann als alle anderen, und so fallen sich die beiden für die Schlußeinstellung in die Arme. Doch dann gibt es noch einige Überblendungen, die das Paar immer älter werden lassen, und am Schluß sieht man ihre beiden Gräber. Was für eine schockierende Konsequenz – ein Happy End bis zum Tod! Welcher Regisseur würde sich das heute in einem kommerziellen Film trauen? Der Schluß ist nicht einmal auf einen Lacher hin inszeniert, sondern ein abschließender, skeptischer Kommentar.

Mit solchen Widerhaken hat Buster Keaton all seine großen Komödien gespickt, die er in nur fünf Jahren von 1923 bis 1928 gedreht hat. Zehn Filme, mit denen er heute bei den Cineasten viel mehr Bewunderung genießt als sein Erzrivale Chaplin. Dieser hatte ihn zu Lebzeiten mit fliegendem Pathos überholt, um ihn dann in „Limelight“ so gnadenlos dadurch zu demütigen, daß er ihn in einer kleinen Nebenrolle auftreten ließ.

Bunuel war in seiner Autobiographie einer der ersten, der Keaton dem sentimentalen Chaplin vorzog. Doch inzwischen gehört es unter den englischen und amerikanischen Filmleuten zum guten Ton, daß man sich als „Keaton-man“ vorstellt, wie es vor einigen Monaten Terry Jones von der Monty Python-Gang in einer Fernsehsendung tat. Dort gab er auch eine interessante Analyse des Phänomens, daß die Keaton-Filme offensichtlich viel besser altern als andere Stummfilme: „Bei anderen Filmen aus dieser Zeit bleibt man sich immer dessen bewußt, daß man etwas aus einer längst vergangenen Zeit ansieht. Nur bei Keaton vergißt man dies schon nach wenigen Minuten völlig.“ Während Chaplin letzlich noch der viktorianischen Vaudeville-Tradition verpflichtet war und die Kamera „oft einfach in die erste Reihe des Theaters packte“ (David Thomson), ist Keaton auch heute noch modern. Seine Filme sind nicht nur komisch, sondern auch erstaunlich schön photographiert.

Wenn er mit der Dampflok in „The General“ durch die Landschaft fährt, sind die Außenaufnahmen so gewaltig wie später in den Filmen von John Ford, und in „The Navigator“ fängt er die Stimmung eines riesigen, leeren Schiffes so unheimlich ein, daß man an Murnau erinnert wird. Für die Tauchergags in diesem Film erfand Keaton übrigens mal schnell die Unterwasserkamera. Auch Keatons Art zu erzählen ist verblüffend aktuell geblieben: Woody Allen klaute etwa die Grundidee von „Purple Rose of Cairo“ aus dessen „Sherlock Jr“.

Buster Keaton ist also weit mehr als nur der „Komiker, der niemals lachte“. Er ist auch mehr als der Akrobat mit den atemberaubenden Stunts, auch wenn diese zu den unvergeßlichen Momenten in seinen Filmen zählen. So etwa seine Fahrt auf der Lenkstange eines Motorrades in „Sherlock Jr.“ oder die auf ihn fallende Hausfassade in „The Navigator“. Deshalb ist es bei diesem filmischsten aller frühen Filmkomiker nur stimmig, daß er zusammen mit dem Kino in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag feiert.

Das Kino 46 zeigt in den nächsten sechs Tagen fast ausschließlich seine Filme. Mit „Speak Easily“ aus dem Jahre 1932 wird sein trauriger Niedergang in belanglose Albernheiten dokumentiert, und mit dem kanadischen Kurzfilm „The Railrodder“ aus dem Jahre 1965 ist auch der wohl einzige wirklich gelungene Film aus seinen späten Jahren zu sehen. Abgeschlossen wird die Filmreihe am Dienstag abend mit einem Special, in dem der Hamburger Filmarchivar und Keaton-Fan Heiner Roß Raritäten aus seiner Sammlung vorführt. Darunter den ersten und letzten Filmauftritt Keatons, einen Werbespot mit ihm und einen Benefizfilm, in dem Keaton neben Gary Cooper, Joan Crawford sowie Laurel & Hardy zu sehen ist. Ein spannendes und liebevoll zusammengestelltes Programm über den Mann, von dem Siegfried Kracauer sagte „Seine Anmut ist ein Versprechen, das freilich erst eingelöst werden mag, wenn der Bann von der Welt genommen ist. Dann könnte Buster sich endlich frei regen und lachen.“

Wilfried Hippen

Kino 46, 14.-19.9., z.T. mit live gespielter Klavierbegleitung: „In which we serve“, „Speak easily“, „Der Navigator“, „Steamboat Bill jr.“, „Sieben Chancen“, The General“, „College“, „Our Hospitality“, „The Railrodder“ (Zeiten s. Kinoseiten)