Nicht alle waren Nazis

■ 15 Deutsche, die in der Nazizeit Juden retteten, wurden gestern mit der höchsten israelischen Auszeichnung geehrt

„Die Auszeichnung ist ein posthumer Triumph für meine Eltern. Sie ist ein Zeichen dafür, daß der Kampf gegen den Faschismus einen Sinn hatte“, sagte Herbert Schrödter bei der Verleihung des Titels „Gerechte unter den Völkern“. Diese höchste Auszeichnung des Staates Israel wird „an die Edlen aller Völker, die ihr eigenes Leben aufs Spiel setzten, um Juden vor dem Holocaust zu retten“, wie es im Stiftungsgesetz der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem heißt. Schrödters Eltern hatten von 1943 bis Kriegsende in ihrem Siedlungshaus in Hohenschönhausen sechs Juden versteckt. Otto und Hedwig Schrödter gehören zu den elf der 15 geehrten Deutschen, die nicht mehr leben. Für die Verstorbenen nahmen Angehörige die Ehrungen bei dem Festakt im „Centrum Judaicum“ in der Oranienburger Straße entgegen.

Agneta Pohl ist eine der noch lebenden Retterinnen: „Im November 1942 kam meine jüdische Freundin Else Studinski mit ihrem Ehemann in unser kleines Haus in Rahnsdorf. Zu diesem Zeitpunkt stand ihr Abtransport ins Konzentrationslager unmittelbar bevor. Wir wohnten etwas abgelegen, direkt am Wald. Meine Mutter und ich beschlossen, sie für einige Wochen bis zur geplanten Flucht nach Schweden aufzunehmen.“ Gerade noch rechtzeitig erfuhren sie, daß die angebotene Fluchtmöglichkeit eine Falle der Gestapo war. So wurden aus den Wochen mehr als zwei Jahre.

Allen Ehrungsgeschichten ist eines gemeinsam: Retter und Gerettete kannten sich schon aus der Zeit vor der Verfolgung: Sie waren seit langem freundschaftlich verbunden. Bei der Familie Hagemann im brandenburgischen Havelberg hielt sich während der Nazizeit eine ganze jüdische Familie versteckt. Die Tochter erinnert sich: „Familie Hagemann hatte uns bereits, als wir nur geringe Lebensmittelzuteilungen bekamen, regelmäßig mit Essen versorgt. Die Hagemanns waren zutiefst von ihrem katholischen Glauben überzeugt. Das bedeutete für sie: zu helfen und keine Gefahr zu scheuen.“

Daß für viele die Ehrung so spät kommt, hat oft psychologische Gründe: Viele der jüdischen Verfolgten konnten Jahrzehnte nicht über ihre traumatischen Erlebnisse während des Dritten Reiches reden. So blieben die Taten ihrer Retter lange im Dunkeln. Auch wollten viele Helfer in der Nachkriegszeit nicht öffentlich genannt werden. Galten sie doch durch ihr Handeln als „Nestbeschmutzer“, wie der israelische Botschafter Avi Primor in seiner Laudatio erklärte. Auch das schlechte Verhältnis der DDR und anderer sozialistischer Staaten zu Israel verhinderte oft eine frühere Auszeichnung der beispielsweise in Ostdeutschland lebenden Helfer.

Von den über elftausend Frauen und Männern, die bis jetzt den Ehrentitel „Gerechte unter den Völkern“ erhalten haben, sind 300 Deutsche. Gerade die Deutschen unter den Geehrten haben für Israel eine besondere Bedeutung, meint Avi Primor: „Für uns war Deutschland nach dem Holocaust ein schwarzer Fleck auf der Landkarte. Nach der Erfahrung der Vernichtung waren viele Juden ohne Hoffnung. Es hat lange gedauert, bis wir verstanden haben, daß nicht alle Deutschen Nazis waren. Mit dem Wissen, daß es auch deutsche Helfer gab, können wir erleben, daß nichts hoffnungslos ist.“

Für den Staat Israel hofft Avi Primor auf eine Verständigung mit den Palästinensern. Für ihn ist ein Friedensvertrag erst der Anfang. Letztendlich könne ein dauerhafter Friede aber nur durch Beziehungen zwischen den einzelnen Menschen erreicht werden. „Daß Menschenverständigung auch in dunkler Zeit möglich ist, dafür haben die deutschen Helfer ein Beispiel gegeben.“ Adrian Prechtel/Ole Schulz