Big in Benelux

■ Soul in innerer Emigration: Die wundersame Rückkehr Edwyn Collins'

Stell dir vor, 13 Jahre passiert nichts, und plötzlich hast du aus gar nicht mehr so heiterem Himmel wieder einen Hit. Nach 13 Jahren! Da fragst du dich doch, was los ist mit dir und der Welt, was in die gottverdammte Hitparade gefahren ist, sich mit einem Mal wieder an dich zu erinnern. Und warum es ausgerechnet Belgien sein mußte, in dem das Ding zuerst an die Spitze schoß. Oder?

So richtig erklären kann Edwyn Collins sich das alles auch nicht, bloß an fünf Fingern zusammenreimen. „Irgendwie muß es eine Art Kettenreaktion gewesen sein“: zuerst ein bißchen Airplay durch Radio 1 in England, dann hört ein holländischer DJ im Urlaub „A Girl Like You“, frißt einen Narren daran und spielt es zu Hause. Von da springt der Funke nach Belgien über. Plötzlich ist Edwyn, der Londonder Schotte, big in Benelux. Und mit einem Mal ziehen die anderen nach, und das hübsche kleine Popsoul-Stück ist ein hübscher kleiner Sommerhit in Griechenland, Australien und D-Land.

Aber Erklärungen sind ab einem bestimmten Punkt ohnehin nicht mehr alles. Der Mann auf dem Ledersofa freut sich der Dinge, die da kamen – selten genug, der nächste Winter kommt bestimmt. Edywn sieht gut aus, das heißt, er sieht lange nicht so gut aus wie auf den Album-Covern von früher, aber es ist so etwas Aufgeräumtes und Angenehmes um ihn. Anders als bei den meisten Popstars, die einem auf Promotour über den Weg laufen, macht sich sogar eine gewisse Freude an der menschlichen Kommunikation bemerkbar. Herzhaft und kaum galgig kann der 36jährige heute lachen über die Versuche, mit seiner Band Orange Juice echte Popstars zu werden.

Das war in den frühen Achtzigern. „Indie“, der spätere Kampf- und Sammelbegriff für ein diffuses Jenseits der Industrie, war gerade erst in Prägung, alle Welt staunte erst einmal nur, daß so kleine Glasgower Jungs wie Orange Juice sich an so große Gefühle heranwagten. Übermütig in die Luft springende Delphine zierten ihr erstes Album „You Can't Hide Your Love Forever“, symptomatisch für diesen Versuch, mit ein paar von Al- Green- und Temptations-Platten runtergehörten Gitarren-Licks den ganz großen Zauber zu veranstalten: Northern Soul mit Pop- Appeal und einem aus mühsam verschütteten Pubertätsquellen gespeistem Kraftzentrum. Die Polydor, die die Band vom schottischen Postcard-Label wegfischte, ließ sie nach ihrem Hit „Rip It Up“ allerdings genauso schnell wieder durch die Maschen schlüpfen, als dieser Kurs nicht eindeutig genug verfolgt wurde, und das kommerzielle Potential schwand.

„Ist halt Unternehmenspolitik, weißt du“, lacht Collins heute nach drei wenig beachteten Soloplatten und findet es immer noch komisch, daß er hinten genauso heißt wie Englands absoluter Exportschlager: a guy called Phil. Seine persönliche Lehre aus der Abwicklung von Orange Juice und der ganzen „Independent“-Geschichte: ein eigenes Studio, absolute Kontrolle über Aufnahme und Sound. Er ist froh, daß der geschäftliche Teil nach dem Erfolg der Single wieder bei einer größeren Firma, Virgin, gelandet ist, „sonst mußt du am Ende als Künstler noch für die Poster sorgen. Oder dafür, daß die Platte überhaupt in den Läden steht.“

Das Reinrutschen in die nächstgrößere Verbreitungsstufe hat auch dafür gesorgt, daß „Gorgeous George“, das „eigentlich“ schon im letzten Jahr erschienene Album, im Schlepptau von „A Girl Like You“ eine zweite Chance erhielt. „This music won't take you higher“, singt Edwyn Collins bereits im ersten Stück warnend, und es ist wahr: Für upliftende Gefühle, wie sie zur Zeit wieder aus England kommen, ist wenig Raum auf diesem sarkasmusüberzuckerten, stoischen Statement. Das Soulgefühl von damals ist noch weiter in innere Emigration gegangen, zum Teil hat es sich ganz ins härene, aber klassische Gewand des Countryfolkgesangs begeben, zum Teil tobt es sich noch in eigenwillig daherklappernden Discovarianten der Grund-Arrangementidee („schöne“ Melodie vor hektisch- rhythmischem Hintergrund = „weißer“ Phillysound) aus, in die dann eine leicht destruktive Gitarre gern hineinbratzt. „Don't want no easy glamour“, wie es im schönsten Stück ganz beiläufig und genau heißt.

Schon deshalb hat Collins die Rolle als Vorläufer und Mentor des momentanen Britpop-Booms, wie die englische Musikpresse sie ihm verschiedentlich anzudienen versuchte, undankend ablehnen müssen. „Mir liegt dieser ganze Rückzug aufs Hausgemachte nicht so, es riecht mir zu sehr nach freiwilliger Isolation oder Schlimmerem. Was soll daran so toll sein, wenn Damon Alburn von Blur oder sogar Brett Anderson von Suede vor britischer Nationalflagge für die Titelblätter der Zeitgeist-Magazine posieren? Es hat einfach nicht mehr dieselbe Bedeutung wie in den Sechzigern, als Pete Townshend mit einer Union- Jack-Jacke herumgelaufen ist, und auch dieses militärische Gerede von der ,New British Invasion‘ in Amerika nervt.“ Entwicklungen wie diese seien ein „nettes kleines Zeichen dafür, wo alles hingeht. Es ist nicht Politik mit großem P, aber es ist politisch.“

Als Mensch und Schotte sieht Collins das alles eher aus der Position eines wohlverstandenen Internationalismus, weist pflichtschuldig auf die allgemein üble Lage hin und geißelt das, was er in der Jugendkultur die „kosmetische Rebellion“ nennt: Lifestyle statt Bewußtsein, Idolbildung, Politikfeindschaft. Unspektakuläre, korrekte Ansichten mit leicht wurzeligem Geschmack.

Ein Rotfront-Sozialist wie Billy Bragg ist Edwyn Collins trotzdem nicht. Eher ein pessismistisch-heiterer, menschenfreundlicher Misanthrop. Alles gekommen, vieles gesehen, manches verabschiedet – und tschüß und ab! Er mag es, wenn die Leute auf Konzerten ihn einfach Edwyn nennen, auch wenn er sie noch nie in seinem Leben gesehen hat, es hat einfach so was Unübertriebenes und Alltägliches. Mit dem nächsten Nummer-1-Hit rechnet er in frühestens 13 Jahren, und ohnehin wäre es vorher möglicherweise gar nicht gut – es könnte seine Kreise stören oder sogar Unglück bringen. Meint er.

Einwände, das sei zu pessimistisch, werden laut lachend in den Wind geschlagen, und wer's immer noch nicht glaubt, kriegt von ihm ein seltenes John-Lennon-Zitat hinterhergeschmissen: „Paß auf, was du dir wünschst, du könntest es am Ende kriegen.“

Ein bißchen feige ist das, aber auch weise: Am Erfolg köcheln viele, runter kommst du immer von alleine. Thomas Groß