Sind so kleine Filme

■ Low-budget feiert sich selbst: Ein Gespräch mit Tom DiCillo, dem Regisseur von "Living in Oblivion"

Als Tom DiCillo, früher Kameramann bei Jim Jarmusch, für seinen Regie-Erstling „Johnny Suede“ (mit Brad Pitt in seiner ersten Hauptrolle) viel Lob eingeheimst hatte, fand er drei Jahre lang keine Finanzierungsmöglichkeit für seinen nächsten Film. Also beschloß er, mit „diesem kleinen Drehbuch und ohne Geld“ einen Kurzfilm zu machen. So entstand das erste Drittel von „Living in Oblivion“ auf 16 mm, mit einem „minimalen Budget und Freunden, die umsonst arbeiteten“. Die beiden restlichen Teile wurden später auf 35 mm gedreht, der erste aufgeblasen. Geschildert werden drei Drehtage einer Low-budget-Filmproduktion, bei der alles schiefgeht, was schiefgehen kann: Armbanduhren piepsen, Nebelmaschinen explodieren, Mikrofone hängen ins Bild. Hinzu kommen emotionale Verwicklungen, die dem Betriebsklima abträglich sind. Als Deus ex machina schließlich ereignet sich dann noch die Mutter des Regisseurs, welche aus dem Altersheim entflohen war – sie wird von Steve Buscemi gespielt. „Living in Oblivion“, finanziert ausschließlich von den Schauspielern und Verwandten, gewann einen Preis auf dem Sundance Film Festival und jetzt auch den großen Preis der Jury des Filmfests in Deauville. DiCillo kann wegen des Erfolgs von „Living in Oblivion“ nun endlich das Projekt angehen, dessen Scheitern uns überhaupt erst „Living in Oblivion“ beschert hat.

taz: „Living in Oblivion“ macht sich über beide Seiten des Filmgeschäfts lustig, die Independents und Hollywood, es zerstört die Mythen ums Kinomachen und restauriert doch die Faszination.

DiCillo: Es gibt so viele Mythen und Vorurteile übers Filmemachen, und die meisten davon sind ziemlich ärgerlich. Natürlich mußte ich ein wenig übertreiben, konzentrieren. Der Film sollte wie eine Farce von Molière werden, inspiriert von Kafka und den Marx Brothers.

Sehen Sie irgendwelche Ähnlichkeiten zu „Ed Wood“?

Ich mochte weder „Ed Wood“ von Tim Burton, noch mag ich die Filme von Ed Wood selbst. Aber Tim Burton versuchte zu sagen, daß Ed Wood als Filmemacher ein interessanter Mensch gewesen sei, auch wenn er grauenhafte Filme machte. Aber wenn Burtons Film zu Ende ist, sind Ed Woods Filme immer noch grauenhaft. Bloß daß jemand gerne „Action!“ und „Cut!“ sagt, macht ihn doch noch nicht zum romantischen Visionär. Ed Wood scheint einfach ein Idiot zu sein, und so was interessiert mich nicht.

Mein Film ist das Gegenteil. Er handelt von den klassischen, fundamentalen Dingen des Filmemachens: Zwei Schauspieler spielen eine wundervolle Szene ... und die Kamera läuft nicht. Das ist was völlig anderes, als wenn Ed Wood sagt: „Oh, ich möchte eine Krake in meinem Film.“

Einige der Schauspieler in „Living in Oblivion“ sind etwas dämlich.

Unglücklicherweise bringt einen das Filmgeschäft dazu, dumm zu werden. Wenn du als Schauspieler nur irgendeine kreative Sensibilität hast, ist dein Job in den USA eine Qual. Alles was du zu tun hast, ist herumzusitzen, ab und zu eine Szene zu spielen und dabei ein Stück Holz abzugeben. Schon die Art, wie die meisten Regisseure mit Schauspielern reden, ist unglaublich: „Gib mir mehr!“ heißt es, und dann nein, nein, mehr ist was anderes.“ Da fühlt sich ein Schauspieler natürlich verarscht. Auf der anderen Seite gibt es natürlich jede Menge schlechte Schauspieler.

Von Chad Palomino, dem arroganten Hollywood-Star in „Living in Oblivion“, wird allgemein angenommen, daß Brad Pitt für ihn Modell stand. Sie haben das dementiert.

Ja, Brad Pitt ist ein persönlicher Freund und sollte ursprünglich sogar Palomino spielen. Palomino hat kein spezielles Gegenstück in der Realität. Aber der erste Kameramann von „Johnny Suede“, den ich feuern mußte, wird sich definitiv wiedererkennen, wenn er „Living in Oblivion“ sieht.

Ihr Film wurde größtenteils von den Schauspielern finanziert. Woher kommt gewöhnlich das Geld für Independent-Filme?

Es gibt keine staatlichen Förderungen. Aber es gibt verschiedene Independent-Verleiher in den Staaten. Einige machen auch sogenannte Development-Deals und stellen dann Geld für die Produktion zur Verfügung. Aber der Wettbewerb um diese Verträge ist sehr intensiv. Wir hatten Glück, nur drei Filme fanden beim Sundance Film Festival einen Verleiher. Die großen Majors blockieren mit ihren Kopien natürlich die meisten Kinos. Filme wie meiner sind meist beschränkt auf größere Städte, vor allem New York und Los Angeles. Prinzipiell gibt es in den USA immer noch eine Angst vor allem, was auch nur verdächtigt wird, etwas mit Kunst zu tun zu haben. Ich weiß nicht wieso, aber das ist eine Nation, die Angst vor Kunst hat. Dabei finde ich nicht, daß mein Film ein Kunst-Film ist. Auch jemand, der „Die Hard“ mag, könnte sich bei mir amüsieren. Und nebenbei: Der Film ist in jedes Land der Welt verkauft worden.

Was heißt das, jedes Land der Welt?

China, die Philippinen, Malaysia, Türkei, Island ... Zähl irgendwas auf.

Wenn man „Living in Oblivion“ sieht, könnte man den Eindruck gewinnen, jeder, der Independent-Filme macht, träume ausschließlich davon, bald für Hollywood entdeckt zu werden.

Ich habe auf genügend Sets von unabhängigen Produktionen abgehangen. Es ist vier Uhr morgens, eigentlich müßte man längst zu Hause sein, es gibt nur noch ein halbgefrorenes Stück Pizza zu essen ... Natürlich sagt da jeder: „Wäre ganz nett, mal einen Film zu machen und dafür bezahlt zu werden.“ Aber wenn ich jetzt zurücksehe, merke ich, daß das die aufregendsten Zeiten meines Lebens waren.

Es gibt in Ihrem Film eine Anspielung auf Quentin Tarantino, die sich darauf bezieht, daß er momentan in Hollywood wie ein Messias gehandelt wird, obwohl er gerade mal zweieinhalb Filme gemacht hat.

Ich kann nur sagen, daß ich das nicht verstehe. Tarantino ist Teil von etwas, was man „New Hollywood“ nennen könnte. Das sind Filme, die die Leute wieder in die Kinos bringen. Das ist natürlich gut, aber die Gefahr ist, daß Filmemacher nun denken müssen, die Leute wollen permanent Brutalität ins Gesicht gedrückt bekommen. Ich finde, Tarantinos Filme sind emotional tot. Ich habe nichts gegen Gewalt, überhaupt nichts. Wenn man Gewalt in einem Film richtig einsetzt, kann das überaus kraftvoll und verstörend sein. Aber es ist so einfach, jemandem ein Ohr abzuschneiden und damit die Leute die nächsten 20 Minuten in ihrem Sessel zu halten. Aber es ist sehr interessant zu sehen, was mit Tarantino vor sich geht. Auf der ganzen Welt sitzen während wir reden Leute in ihren kleinen Studios an ihren kleinen Computern und schreiben das nächste „Pulp Fiction“-Drehbuch.

Steve Buscemi stellt sich am Ende des Films vor, wie er den Oscar gewinnt. Falls Sie jemals den Oscar gewinnen sollten, was würden Sie auf der Bühne sagen?

Ich weiß es nicht, wirklich nicht. Die meisten Leute gehen da hoch und sagen „Danke, Danke! Danke vielmals“, und was sie wirklich sagen wollen ist: „Fuck yourself! Könnt ihr euch vorstellen, wie schwer es für mich war, diesen Film zu machen?“ Das Gespräch führte

Thomas Winkler

„Living in Oblivion“. R+B: Tom DiCillo; Mit: Steve Buscemi, Catherine Keener u.a.; USA 1995, 92 Minuten