■ Die Südafrikanerin Navanethem Pillay über ihre Rolle als einzige Richterin beim Ruanda-Kriegsverbrechertribunal
: „Ich bin eine Frau, ich bin qualifiziert“

taz: Wie sind Sie Richterin beim Ruanda-Tribunal geworden?

Pillay: Zunächst hatte „Equality Now“ davon gehört, daß das Ruanda-Tribunal besetzt werden sollte. „Equality Now“ ist eine Frauenorganisation mit Sitz in New York, deren Vorsitz ich habe und die gegen die Verletzung von Frauenrechten in der ganzen Welt vorgeht. Wir sind Teil eines Netzwerkes von rund 2.000 Frauengruppen. Wir mußten immer wieder feststellen, daß die Regierungen nur Männer in wichtige Positionen bringen. Das gilt besonders für Afrika. Also hat mich „Equality Now“ angerufen und gefordert: Du mußt dafür sorgen, daß deine Regierung dich nominiert.

Und das ging dann so einfach?

Natürlich nicht. Aber in Südafrika passiert gegenwärtig so Unglaubliches, da ist vieles möglich. Bislang wurden die Richter immer unter den weißen Rechtsanwälten ausgewählt. In jüngster Zeit haben wir jedoch zwei schwarze Richter erhalten. Und ich wurde als Kandidatin für das südafrikanische Verfassungsgericht ernannt und kam als erste schwarze Frau mit elf anderen Kandidaten in die engere Wahl. Ich habe den Posten nicht bekommen. Aber zwei andere Frauen haben es geschafft.

Wann war das?

Vor etwa sechs Monaten. Und dann bewarb ich mich für den Obersten Gerichtshof. Dafür muß man nominiert werden. Ich wurde von allen Menschenrechtsorganisationen nominiert, von den Anwaltsorganisationen, sogar von der Juristenvereinigung, in der überwiegend weiße Männer sitzen. Und damit wurde ich als amtierende Richterin ernannt. Es war eine zunächst nur auf zwei Monate angelegte Amtszeit. Das war ein historisches Ereignis – eine schwarze Frau auf diesem Posten.

Das hat viel Aufmerksamkeit erregt. Einige Anwälte beriefen sogar eine Versammlung ein, auf der sie forderten, daß man meine Arbeit und meine Leistungen überprüfen solle. Daraufhin gab es eine harsche Reaktion der Öffentlichkeit. Warum eine Überprüfung gerade jetzt, wurde gefragt. Warum haben sie in den Jahren der Apartheid die Arbeit der Richter niemals überprüft?

Danach stand ich vor der Wahl, mich für eine permanente Mitgliedschaft des Obersten Gerichtshofes von Natal oder für das Ruanda-Tribunal zu entscheiden. Ich entschied mich für das Ruanda- Tribunal und kam in die engere Wahl der BewerberInnen beim UNO-Sicherheitsrat. Ich war die einzige, die alle 15 Stimmen des Sicherheitsrates erhielt. Aus 15 KandidatInnen hat die Generalversammlung der UNO sechs ausgewählt. Ich habe die höchste Stimmenzahl erhalten. Alle afrikanischen Regierungen, ohne Ausnahme, haben mich gewählt.

Wie erklären Sie sich das?

Ich habe das nicht nur gesagt, um zu zeigen, daß ich gut bin. Drei Faktoren waren wichtig: Ich komme aus Südafrika. Ich bin eine Frau. Ich bin qualifiziert. Ich erwähne das, damit Sie sehen, wie wichtig Frauenorganisationen sind. Diese Gruppen müssen herausfinden, welche Ämter vergeben werden. Und sie müssen von den Regierungen fordern, daß sie Frauen nominieren. Denn wenn wir erst einmal nominiert werden, dann schaffen wir alles weitere sehr gut allein: Die Stimmen bekommen wir.

Ohne die Unterstützung dieser Organisationen hätten Sie es nicht geschafft?

Wenn „Equality Now“ mich nicht informiert hätte, daß die Richterstellen beim Ruanda-Tribunal besetzt werden sollen, hätte ich nichts davon gewußt. Die Leute im Süden wissen nichts über diese Dinge. Die Leute im Norden sind viel besser informiert.

Wenn wir vorankommen und die Frauen stärken wollen, müssen wir Frauen in Entscheidungsfunktionen bringen, in Ämter, in denen sie Einfluß und Macht haben.

Wann nehmen Sie die Arbeit im Ruanda-Tribunal auf?

Wir haben uns im Juli in Den Haag getroffen und die Regeln des Gerichtes festgelegt. Wir haben uns im großen und ganzen an den Regeln des Jugoslawien-Tribunals orientiert und diese übernommen. Ich habe mich besonders um die Regelungen gekümmert, die sich auf Vergewaltigungen als Kriegsverbrechen beziehen.

In nationalen Rechtssystemen gibt es viele Regeln, die gegen Frauen arbeiten. Zum Beispiel die Tatsache, daß niemand auf der Basis der Aussage einer einzigen Frau verurteilt werden darf, sondern nur auf der, daß weitere Zeugen sie bestätigen.

In Südafrika sind zwar keine weiteren Zeugen vorgeschrieben. Aber das Gesetz sieht vor, daß das Gericht „besondere Vorsicht“ bei der Anhörung der Frau walten läßt. Besondere Vorsicht! Das wird bei keinem anderen Verbrechen gefordert, weder bei Diebstahl noch bei Mord.

Was heißt „besondere Vorsicht“?

Daß das Gericht sicherstellen muß, daß sie sie keine falsche Anklage erhebt.

Ihre Glaubwürdigeit wird also von vornherein bezweifelt.

Ja. Für Ruanda haben wir die Regelungen dahingehend verändert, daß wir auch auf der Basis der Aussagen einer einzelnen Zeugin ein Urteil fällen können. Übrigens auch eines einzelnen Kindes. Das ist beim Jugoslawien-Tribunal anders. Wir haben uns jedoch gefragt: Was geschieht, wenn ein Kind vergewaltigt worden ist. Sollen wir dann kein Urteil fällen können? Jetzt warten wir auf den Abschluß der Ermittlungen. Ich werde voraussichtlich im November in Den Haag anfangen, die Untersuchungsergebnisse einzusehen.

Dann beginnen die Prozesse?

Wann genau das sein wird, wissen wir noch nicht. Aber man hat uns mitgeteilt, daß die Vorbereitungen in der tansanischen Stadt Arusha vorangehen; dort soll das Gericht tagen. Das Gefängnis ist im Bau. Wir hoffen, daß wir im Juni, Juli nächstes Jahr beginnen können. Wir wissen alle, wie sehr die Zeit drängt.

Aufgrund welcher Gesetze werden Sie ihre Urteile fällen?

Wir werden uns auf die nationale Gesetzgebung stützen. Das ist übrigens auch beim Jugoslawien- Tribunal der Fall. Eine Ausnahme gibt es aber: Wir werden keine Todesstrafe verhängen, weil die UNO gegen die Todesstrafe ist.

Wie lange wird das Tribunal arbeiten?

Wir Richter sind für vier Jahre ernannt worden. Wir wissen nicht, wie die Ermittlungen vorankommen werden. Es hängt auch davon ab, ob die nationalen Regierungen das versprochene Geld für die Durchführung des Tribunals wirklich bereitstellen. Bis jetzt ist ist nur dieses Jahr gesichert.

Die ruandische Delegation, die hier nach Peking zur Frauenkonferenz gekommen ist, hat nicht nur davon gesprochen, daß Frauen Opfer der Massaker geworden sind und es 500.000 Witwen im Land gibt. Die Justizministerin hat auch gesagt, daß selbst viele Frauen grausam gemordet haben. Das hat es in der Vergangenheit offenbar noch nicht gegeben. Was heißt das für Ihre Arbeit?

Das Tribunal ist von der UNO eingerichtet worden, um Menschen wegen Völkermord vor Gericht zu stellen. Das ist unser Mandat. Das gilt selbstverständlich auch für Frauen. Interview: Jutta Lietsch, Peking