Geld gibt's erst nach der Wiedervereinigung

■ 3.500 GriechInnen fordern von der deutschen Regierung Entschädigung für Verbrechen der Wehrmacht. In Bonn behauptet man, die Ansprüche seien verjährt

Berlin (taz) – Seit Anfang Juli stehen sie Schlange in der ehemaligen Schule von Kalavrita auf dem nördlichen Peloponnes: einfache, ärmlich gekleidete Menschen, viele von ihnen Frauen in schwarzer Trauerkleidung. Sie geben ihre Verluste zu Papier, die sie selbst oder ihre Eltern im Jahr 1943 erlitten. Damals, am Nachmittag des 13. Dezember, hatte die deutsche Wehrmacht in einer Racheaktion alle männlichen Einwohner der Kleinstadt über 13 Jahre erschossen. Die Frauen und Kinder waren in der Schule eingesperrt und hörten von dort die MG-Salven, mit denen ihre Gatten, Väter, Brüder, Söhne hingerichtet wurden, insgesamt an die 800 Menschen. In den Tagen vorher waren in der Umgebung von Kalavrita zwanzig Dörfer und Klöster niedergebrannt und dabei an die 500 GriechInnen ermordet worden.

Auch im Ort Distomon bei Delphi, nördlich des Golfs von Korinth, übte die deutsche Wehrmacht bittere Vergeltung an der einheimischen Bevölkerung für den Widerstand der griechischen Partisanen. Am 10. Juni 1944 metzelte die Besatzungsarmee fast die gesamte Bevölkerung des Dorfes nieder: 225 Personen. Und nicht nur in Kalavrita und Distomon, auch in anderen Orten und Regionen versuchte die Wehrmacht den wachsenden Widerstand der „Andartes“, der griechischen PartisanInnen, durch Racheaktionen einzudämmen. Insgesamt verloren in den Jahren von 1940 bis 1945 600.000 GriechInnen ihr Leben, ein Viertel der Bausubstanz des Landes wurde zerstört.

Griechenland war im Zweiten Weltkrieg von zwei faschistischen Aggressoren besetzt, von Deutschland und von Italien. Mit Italien wurde 1947 ein Friedensabkommen geschlossen, im dem sich die Regierung in Rom zur Zahlung von 405 Millionen US-Dollar Reparationen verpflichtete. Forderungen an Deutschland vertröstete die Regierung in Bonn jedoch immer. 1964 erklärte Bundeskanzler Ludwig Erhard: „Ihr bekommt schon euer Geld, aber erst nach der Wiedervereinigung.“

1990 war es so weit – Gesamtdeutschland war nun auch für Schadenersatzansprüche aus Griechenland zuständig. Doch die politische Landschaft hatte sich mittlerweile geändert, Deutschland und Griechenland waren Partnerländer im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft geworden und Bonn der wichtigste Beitragsleister für die Ausgleichszahlungen an Athen im Rahmen der EG.

Das Thema der Reparationsforderungen schien erledigt – bis der ehemalige Europaabgeordnete Ioannis Stamoulis diese Frage wieder in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses rückte. Zusammen mit dem Bürgermeister von Kalavrita, Panos Polka, und engagierten Rechtsanwälten sammelte Stamoulis in den letzten Monaten Verlustmeldungen und Schadenersatzklagen der betroffenen Bevölkerung aus den Regionen von Kalavrita und Distomon. Zum Abschluß der Kampagne vor zwei Tagen hatten 3.500 GriechInnen Wiedergutmachungsansprüche von mehr als 52 Milliarden Mark eingebracht. Da der griechische Staat diese Initiative nicht unterstützt, werden die Ansprüche zivilrechtlich auf Basis der Haager Kriegsrechtsordnung von 1907 und anderer Rechtsgrundlagen erhoben.

Das amtliche Deutschland gibt sich angesichts der zivilrechtlichen Reparationsansprüche aus Griechenland gelassen. Die Initiatoren der Kampagne beklagen die Kälte und den teilweisen Zynismus der Bonner Behörden. „Die Reparationsfrage hat sich durch Zeitablauf erledigt“, antwortete das Auswärtige Amt im Mai dieses Jahres und wies auf die enormen Netto-Transferleistungen der Bundesrepublik an Griechenland „auf dem Gebiet der EU, der Nato und anderen“ hin. Da es keinen Präzedenzfall dafür gebe, daß 50 Jahre nach Ende eines Krieges die Reparationsfrage wieder aufgeworfen wurde, sei die Bundesregierung nicht bereit, über die griechischen Ansprüche zu verhandeln. Werner Hörtner