Die Mühen der grünen Ebenen

Nach dem Fiasko im Superwahljahr kommen Bündnis 90/Die Grünen in den neuen Ländern nur schwer auf die Beine. Statt Avantgarde sind sie Nachhut der ostdeutschen Entwicklung  ■ Aus Berlin Christoph Seils

Von Bratwürsten hat Olaf Möller erst einmal die Nase voll. 49 Exemplare mußte der Sprecher der Thüringer Bündnisgrünen als Mitglied der Jury „Thüringer Bratwurst 1995“ zumindest teilweise vertilgen. Aber Möller weiß, da muß er würgen, um seine Partei dem Wähler wieder näherzubringen. „Von Bernhard Vogel lernen, heißt siegen lernen“ hat er sich auf seine Fahne geschrieben, schließlich sei dieser im Wahlkampf volkstümelnd durch die Landen gereist, um den Thüringern eine neue Identität zu verpassen. „Stolz sein auf Thüringen“ stand auf Vogels Wahlplakaten, und dies habe der CDU mehr Stimmen eingebracht als alle ökonomischen Initiativen zusammen.

An Zuspruch fehlte es Bündnis 90/Die Grünen in den neuen Bundesländern im Superwahljahr reichlich, aus vier der fünf Landesparlamente in den neuen Bundesländern flogen sie heraus, selbst in Sachsen-Anhalt lagen zwischen Sieg und Niederlage nur wenige Wählerstimmen. Bei den Bundestagswahlen im Oktober folgte das komplette Desaster: In allen neuen Bundesländern lagen die Bündnisgrünen unter 5 Prozent.

Seit zwölf Monaten stemmen sich die rund 3.300 ostdeutschen Mitglieder der Bündnisgrünen gegen den drohenden Untergang, doch die Ergebnisse sind bescheiden. Daß Umfragen einen langsam zunehmenden Wählerzuspruch signalisieren, liegt vermutlich weniger an der Arbeit der Landesverbände, sondern an der Medienpräsenz der Bundestagsfraktion.

Die Zahl der Mitglieder in den neuen Bundesländern stagniert. Besonders finster sieht es in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern aus, wo noch nicht einmal ein Bundestagsabgeordneter die bündnisgrüne Fahne hochhält. Dagegen scheint die Basis in Sachsen noch relativ stabil, in Sachsen- Anhalt wird sie von der Landtagsfraktion getragen, und in Berlin liegen die Probleme angesichts der starken Westberliner Parteibasis sowieso anders. Im Südosten Brandenburgs, in Vorpommern oder im Süden Thüringens hingegen fällt es sehr schwer, überhaupt von einer Basis zu sprechen. Die Geschäftsführer der Landesverbände zucken ratlos die Schultern. Wie soll man die Partei organisieren, wenn die mittlere Entfernung zwischen zwei Mitgliedern fast eine Autostunde beträgt.

Im Auftrag der „Kommission zur Erforschung des sozialen und politischen Wandels in den neuen Bundesländern (KSPW)“ hat der Sozialwissenschaftler Thomas Poguntke die Lage von Bündnis 90/Die Grünen in Ostdeutschland untersucht, mit düsteren Schlußfolgerungen: „Das Projekt einer gleichberechtigten Partnerschaft von Bündnis 90 und den Grünen ist gescheitert.“ Und weiter: „Die ostdeutschen Landesverbände bewegen sich mehr oder weniger auf dem organisatorischen Existenzminimum.“ Die Studie soll im Herbst veröffentlicht werden.

In den Aufbau Ost haben der Bundesvorstand und die Bundestagsfraktion in den letzten 12 Monaten viel Zeit und Geld investiert. Der Bundesvorstand finanziert in jedem der neuen Bundesländer eine halbe Stelle für die Arbeit ihrer Kommunalpolitischen Vereinigung, um die Arbeit der noch zahlreichen bündnisgrünen Vertreter in den ostdeutschen Kommunalparlamenten zu koordinieren. Er unterstützt die Landesverbände bei der Finanzierung einer Stelle in der Landesgeschäftsstelle. Darüber hinaus stehen für die neuen Bundesländer im Soli-Topf-Ost auf Antrag rund eine Million Mark für Kampagnen zur Verfügung.

Der Weg zum Wiedererstarken der Bündnisgrünen im Osten ist aber weit. Die PDS als mitgliederstarke Konkurrenz setzt häufig auf die selben Themen, selbst wenn etwa das ökologische Coming-out der demokratischen Sozialisten an der Basis nicht sehr verankert ist. Aber, so warnt Marianne Birthler, als Leiterin des Berliner Büros der Bundestagsfraktion schwerpunktmäßig mit dem Aufbau Ost befaßt, „wir dürfen nicht den Fehler machen und der PDS oder auch der SPD hinterherlaufen.“

Auch der bündnisgrüne Bratwursttest trägt da nur solange, bis die Wähler in Thüringen entdecken, daß Olaf Möller lieber beim Chinesen ißt.