Politikmachen ist schön

■ Streit, Tanz und kaum Blondinenwitze bei den Mädchenaktionstagen / Heute ebenda

„Wir haben keine Probleme zuhause.“ Nihal* zündet sich eine Zigarette an. Ayla hält sich an ihrer Handtasche fest: „Ich setze mein Kopftuch freiwillig auf.“ – „Wenn schon unsere Sozialpädagogen denken, daß wir unterdrückt werden, denkt Ihr das sicher auch.“ Nihal und Ayla sind 20 und 18. Nihal in schwarzer Lederjacke sagt: „Ob ich in die Disco darf, frag ich meine Eltern nicht. Da will ich sowieso nicht hin.“

Um Erlaubnis bitten hieß der Workshop für „Mädchen verschiedener Kulturen“. Und die wenigen, bunte Tücher tragenden jungen Frauen dieses Vormittags trafen sich in dieser Gruppe wieder. Um sie kurz darauf entnervt wieder zu verlassen.

Die Bremer Mädchenaktionstage hatten ihren kleinen, sympathischen Eklat. Schöne, schrille, schlaue Girls (das Motto) dürfen dieser Tage schulfrei machen und ins Gemeindezentrum der evangelischen Friedensgemeinde gehen. „Mädchen sollen zeigen, was Mädchen wollen“, eröffnete Senatorin Tine Wischer dort das Ereignis. „Mädchen warten nicht mehr.“

Mädchen interessieren sich stattdessen aktiv für Selbstbehauptung, Liebe, Lust und Sexualität und mehr Körperlichkeit, sprich Yoga und Jazzdance. Das ist der Bedürfnispool, aus dem die Veranstalterinnen der zwei Mädchentage vom Vorversuch Mädchenparlament im letzten Jahr geschöpft haben. Die Landesfrauenbeauftragte Ulrike Hauffe ist eine der Initiatorinnen. Sie erhofft sich „einen Paukenschlag“.

Denn die Mädchenaktionstage sollen eine Lobby wecken. Zwei Jahre hat es gebraucht, um die Empfehlungen für einen Bremer Mädchenförderplan zu formulieren. Jetzt müßten daraus mädchenspezifische Angebote in den Freizis und anderswo werden, doch Tine Wischer spricht davon, daß dort solche Forderungen erschrecken. In der ungeklärten Haushaltslage wagt die Senatorin – sowohl für Frauen als auch für die Jugend zuständig – allemal an eine „dritte Quotierung“ zu denken und meint damit: „Wenn ich mal weiß, wieviel Geld ich zur Verfügung habe, kann ich vielleicht zugunsten der Mädchen etwas umschichten.“ Die Senatorin an ihre Zuhörerinnen: „Alles, was wir machen können, ist Mädchenpolitik!“

„Politikmachen ist schön“, finden zehn junge Damen ohne Lehrerin aus dem Schulzentrum Rockwinkel in Oberneuland, achte Klasse: „Wir haben durchgesetzt, daß wir im Klassenzimmer hinten sitzen.“ Sie durften gestern kommen, dürfen heute auch, wollen zum Jazzdance und fühlen sich nicht so diskriminiert. „Außer bei den Blondinenwitzen“, sagt eine mit Lockenpracht.

Die Mädchen tragen Aufklärungshefte unterm Arm und schnappen sich die Broschüren von Pro Familia, von Schattenriß, vom Mädchenkulturhaus, von den Gewitterziegen, vom Lidice Haus – leider nur wenige diejenigen vom Arbeitsamt. „Man kann sich gut informieren“, sagt Helen. „Ich hab auch von Ayla und Nihal viel gelernt.“

„Schön für sie“, kommentiert Ayla. Die beiden Türkinnen ließen sich nach dem Streit noch auf eine kleine Diskussion ein und beantworteten die Fragen der deutschen Mädchen. „Ich wollte das mit dem Tuch immer erst später machen, aber plötzlich ging das und jetzt ist es auch nicht mehr so heiß darunter. - Ich glaube ans Paradies und an das nach dem Tod. - Ich mach keinen Sex, bevor ich heirate. Und wenn es dann der falsche ist: Pech.“ Und eigentlich wäre es spannender, über Ausländerfeindlichkeit zu reden. „Mir hat das jetzt alles nichts gebracht“ (Ayla).

Diejenigen Mädchen, die morgen noch kommen wollen und nicht freikriegen, sollen übrigens einfach schwänzen. Teilnahmebescheinigungen liegen bereit. Es geht weiter mit Videofilmen, Schreibwerkstatt, den Themen Beruf, Liebe, lesbisch sein uvm. Abends locken Theater, Mädchenband und Disco. Bitte auch weitersagen – es soll Schulen geben, die von den Aktionstagen nichts wissen, Beispiel: Gesamtschule Mitte. Ulrike Hauffe: „Wir besetzen diese Räume – auch wenn sie der Kirche gehören.“ Die Kirche (der Mitveranstalter Landesjugendpfarramt) gibt sich geschmeichelt, dort gibt es seit fünf Jahren Mädchenarbeit. sip

Ev. Friedensgemeinde, Humboldtstr. 175

*Namen geändert