Gezähmter Egotrip

■ Joachim Kühn und seine Freunde jazzten im Übersee-Museum

Joachim Kühn entspricht in Stil und Auftreten verdächtig genau dem Klischee des Klaviervirtuosen. Mit wild umhergeworfener Künstlermähne und ausschweifenden Gesten läßt er seine Finger über die Tasten fegen und wirkt immer so, als müße er dem Instrument das Äußerste abringen. Bei seinen Soloauftritten in den letzten Jahren tat er dabei oft schon zuviel des Guten: Da wucherte er manchmal allzu selbstverliebt mit seinen Pfunden und ließ seine Musik in die Leere der reinen Virtuosität abdriften. Umso überraschender und angenehmer war dagegen das Konzert seines Trios am Mittwoch abend. Hier wurde Kühns Tendenz zum Egotrip durch die Temperamente seiner Mitspieler neutralisiert: Der bodenständige Daniel Humair am Schlagzeug und der pulsierend-fließend spielende J.-F.Jenny-Clark am Bass bildeten mit dem Pianisten eine traumhaft sicher spielende Einheit. Die drei ergänzen sich wie Feuer, Erde und Wasser.

So war es auch keine Phrase, wenn Kühn zu Beginn des Konzertes seine Mitspieler als seine Freunde vorstellte, aber er hätte sich diese Worte dennoch ruhig sparen können, denn die Achtung, Sympathie und Harmonie, die zwischen den drei Musikern herrschen, hörte man von ersten Takt an in ihrer Musik.

Ganz unangestrengt spielten die drei so dicht und genau aufeinander ausgerichtet, daß die Zuhörer ihnen ohne Mühe auch in einige bizarre Kompositionen und sehr frei gespielte Ensemble-Improvisationen folgen konnte. Das Programm der beiden Sets war zudem dramaturgisch sehr geschickt aufgebaut. So folgte auf eine abenteuerlich kantige Komposition von Kühn die wunderschön gespielte Ballade „Someone to Watch over me“, und aus deren süßer Melancholie wurde das Publikum dann durch ein rhythmisches Powerplay im Stile von McCoy Tyner aufgerüttelt. Sogar der scheinbar schon totgespielte Gassenhauer „Lili Marleen“ verwandelte sich unter den Händen dieser drei Klangzauberer in eine komplexe Ballade mit ungeahntem Tiefgang.

Kühn konnte all seine Lieblingstricks unterbringen wie etwa das direkte Zupfen der Saiten, das lange, sphärische Nachhallen oder die Läufe nur mit der rechten Hand, aber hier wirkten sie nie angeberisch, sondern gaben musikalischen Sinn. Clark und Humair konnten sich neben aller musikalischen Sensibilität einige Witze nicht verkneifen, und so wurde das Schlagzeug auch mal kurz mit quietschenden Spielzeughämmern bearbeitet, und plötzlich steckte ein Drumstick zwischen den Baßsaiten.

Während ein Gewitter dem Lichthof des Überseemuseums eine faszinierend unheimliche Atmosphäre verlieh, klang das Trio so kraftvoll und frisch, daß man zumindest an diesem Abend das Gerede von der Stagnation des Jazz getrost vergessen konnte. Nur selten hört man Musiker, die zugleich so elegant und tief spielen können.

Willy Taub