Sanssouci
: Vorschlag

■ Fest der Auflösung — Konzertprogramm zu Ehren Arvo Pärts

Arvo Pärt — Komponist, Exileste und Wahlberliner — wurde am 11. September sechzig Jahre alt. Die Beständigkeit, mit der sein Geburtstag schon seit Monaten angekündigt wird, um auf sein Werk aufmerksam zu machen, ist dem Medienzeitalter geschuldet. Ohne Anlaß keine Presse. Deshalb sind Jubiläen so wichtig. Um seinen Sechzigsten kommt auch Arvo Pärt nicht herum, obwohl er als öffentliche Person ein Nullereignis ist, weil er die Öffentlichkeit meidet. Interview? — Unmöglich! Gratulation? — Nur aus der Distanz.

Passend zum Datum feiert der Berliner Kammerchor den großen Meister in der Passionskirche. Mit der Komposition „Fratres“ wurde der dreitägige Zyklus eröffnet. Anfang der 80er Jahre gelang Pärt mit diesem Werk der Durchbruch auf die westliche Seite des Eisernen Vorhangs. Es beginnt mit einer verführerischen Dynamik zwischen Violine und Klavier. Wenn die Geige die schnellen, virtuosen Tonfolgen spielt, hinterläßt sie Spuren eines klanglichen Reichtums, der jedoch immer wieder abrupt gebrochen und durch spröde Einzeltöne ersetzt wird. Das Stück endet indes sozusagen als ein langes und langsames Ausatmen.

Zur Stille: Arvo Pärt Foto: Veranstalter

„Fratres“ läßt sich als musikalische Parabel für die Entwicklung von Pärts Ästhetik verstehen: In seinen späteren Werken gewinnen Langsamkeit und Ruhe eine immer größere Bedeutung. Um der tiefen melancholischen Emphase jedoch etwas entgegenzusetzen, baut Pärt als Kontrast auch in diesen Kompositionen immer wieder Momente versöhnlicher, „klingelnster“ Harmonie ein — Tintinabuli-Stil, nennt Pärt dies selbst. Das widerspricht nicht seinem erklärten Ziel, die Fülle aller Musik in einen einzigen Ton zu bannen.

Die musikalische Entwicklung des Komponisten, die zeitgenössische Einbindung und Pärts Werk im musikhistorischen Zusammenhang sind die drei konzeptionellen Stichworte des dreitägigen Konzertprogramms mit dem Titel „Die Dimension der Stille“. Stellvertretend für die ZeitgenossInnen wurden im ersten Konzert am Mittwoch zwei Stücke von Sofia Gubaidulina gespielt. Die vier Jahre ältere Komponistin wurde in der tartarischen Republik der früheren Sowjetunion geboren, schöpft wie Pärt aus einer tiefen mystischen Religiosität, ist aber weniger weltabgewandt als Arvo Pärt. Einige Beispiele mittelalterlicher Musik werden im letzten Konzert am Sonntag die historischen Quellen aufzeigen, aus denen der Komponist schöpft.

Die LiebhaberInnen seiner Musik, die zahlreich in die Passionskirche gekommen sind, sind nicht nur im Kreis der KirchgängerInnen zu finden. Punks kommen für Sekunden ebenfalls auf ihre Kosten, wenn es sich so anhört, als fiele ein Backstein auf die Tastatur der Orgel, oder der Eindruck entsteht, drei Chöre und ein Orchester würden ein paar Dreiklänge lang entfesselt und aufeinander losgelassen. Auch Schlagerfans sollten dieser Musik ihr Herz öffnen, denn der Ausdruck größter allumfassender Liebe versteckt sich in den selten gesetzten Harmonien. Davon und von der Zeitlosigkeit, die seine schmucklose Anordnung einzelner Töne und Pausen hinterläßt, lebt diese Musik.

Die Konsequenz, mit der Arvo Pärt sich in das Schweigen hinein und damit letztlich ja aus der Musik herauskomponiert, kommt einer sakralen Handlung gleich. Seine Kompositionen sind ein langsamer Weg hin zu einem Ort, an dem Musik sein könnte, auch wenn man nichts mehr hört. Eine verklärtere Inszenierung des Verschwindens der Musik, mit der sein eigenes Aus- der-Welt-treten einhergeht, ist kaum denkbar. Vielleicht ist Arvo Pärts Geburtstag deshalb für seine LiebhaberInnen so wichtig: Man kann öffentlich an einer Auflösung partizipieren. An der des Komponisten und an der seiner Musik. Das Fest geht weiter, solange noch ein Ton zu hören ist. Waltraud Schwab

Arvo Pärt: „Die Dimension der Stille“, heute 20 Uhr, morgen 16 Uhr. Passionskirche, Marheinekeplatz, Kreuzberg