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Wand und BodenPatentlösungen für Beziehungskisten

■ Kunst in Berlin jetzt: Elke aus dem Moore, Steven Evans, Olav Westphalen, Face mind/Mind body

Die deutsche Übersetzung von Calvin Klein heißt Miesmode. Aufschluß darüber gewinnt man bei der Ausstellung „Fotografie, Kopie, Magazine“ von Elke aus dem Moore in der Frauenfotowerkstatt Silberblick. Mies bezieht sich keineswegs auf die Qualität der Mode, sondern auf die so genannte Muschel. Deren Namen trägt ein Fanzine von Elke aus dem Moore und Madeleine Bernstorff. Als Elke Madeleine einmal eine hellblaue Unterhose mit rotem Gummizug schenkte, stickte sie ganz im Sinne Calvin Kleins ein Label darauf – Miesmode. Man darf also annehmen, daß ihr Marcia Pallys CK-1-Patentlösung für Beziehungskisten längst geläufig ist. Ansonsten hat Elke aus dem Moore ein Faible für Polohemden. Auch die werden miesmodenmäßig bezeichnet, fotografiert und Super-8-verfilmt. Freundinnen werden zu ihrem Verhältnis zu Polohemden befragt. Eine meint, man sei darin ein Nichts. Doch die polohemdbestärkte Mitte von 36 Frauen ohne Kopf und Unterleib scheint auf einer Fototafel aussagekräftig genug. Die Fotos und Fotokopien gelten dem Styling ihrer Freundinnen, deren alltäglicher „kleiner, feiner, individueller Mode“; daß die Bilder tatsächlich als Modefotografie gelesen werden können, liegt an einer Wahrnehmungsweise, die mit Wolfgangs Tillmans populär wurde. Bei Elke aus dem Moore liegt das Gewicht weniger auf Selbstdarstellung, obwohl die affektive Verwicklung deutlich höher ist. Das macht den Unterschied aus zwischen der Nische und der Arbeit mit Supermodels als folgerichtigem „sozialpolitischem Element“ (Tillmans).

Bis 31.9., Mi. 18–21 Uhr; am 30.9. ab 19.30 Super-8-Filme, nur für Frauen, Knaackstraße 92

Polohemden scheinen ein Kindheitstrauma zu sein. Kindheitsmustern spürt der New Yorker Künstler Steven Evans bei Rupert Goldsworthy nach. Er näht übrigens auch, und zwar mit großem Geschick. Der gewellte Kragen seines weißen Knabenanzugs, zu dem ein rotblaugestreiftes Rüschenhemd gehört, ist eine kunstvolle Angelegenheit. Der Anzug gehört zu seiner Galerie-Installation, die eine blendend blaue Wand, das Großfoto eines zarten Knaben mit Reif und Stock, ihn anzutreiben, beinhaltet. Daneben sieht man einen halben gußeisernen Weihnachtsmann, eine Socke mit Überlänge, vier gerahmte und bemalte Notenblätter, eine Notentafel. Links davon ziert eine Hutleiste mit zwei Kindermützen die Wand, neben der Tür steht ein fettes Blechblasinstrument auf dem Boden. Der Knabe auf dem Flohmarktfoto ist von Blüten umrahmt: Jahrhundertwende, die Knaben sehen wie Mädchen aus. Paradoxerweise weil die Geschlechtertrennung nie rigider war. Da sollte die Kindheit süß sein und geriet oft exzentrisch. Das nostalgische Kinderzimmer kommt jedenfalls gut in der Glasschachtel von Ausstellungsraum, die einen eh jeder Bodenhaftung enthebt. Ein paar Stufen höher setzt man vor der Vitrine, die Olav Westphalen bestückte, unsanft wieder auf. Seifenpistolen im Schmuckkasten und Miniaturbunker für Schildkröten stehen für andere Spiele. Drei Szenenfotos aus der Videoinstallation „Battlefield“ (1995) zeigen die mit den Bunkern beladenen Schildkröten. Jeder denkt an Hannibals Elefanten beim Marsch über die Alpen. Urtümliche Tiere in der Verwendung als Kriegsgerät. Schildkröten scheinen im Holzmodell des Schlachtfelds ein guter Ersatz. Westphalens Vitrine will aber keine These bestücken. Der Zusammenhang der einzelnen Dinge zueinander ist lose, unspektakulär und – das ist das Maximum an konzeptionellem Durchgriff – ungemütlich. Ein mit Elektroisolierung überzogener Zweig liegt da, und die Prothetic Sketches sind Nebenprodukte des Versuchs, therapeutische Geräte zu entwickeln, winzige, seltsame Törtchen mit Noppen und Nippeln.

Bis 7.10., Do., Fr. 14–19, Sa. 12–15 Uhr, Brunnenstraße 44

Ähnlich rosarot, himmelblau und absurd, nur sehr viel größer, der Tortenaufbau von Max Mohr, dessen Material ebenfalls aus der Orthopädie stammt und beim Prothesenbau Verwendung findet. Schräg gegenüber ein lichterkettenumsäumter Folterstuhl von Pina und Via Lewandowsky. Darauf ein roh zusammengebastelter Helm, in den ein Schlauch führt. Anders als „Face mind/Mind body“ kann die Gruppenausstellung bei Arndt & Partner nicht heißen. Sechs Konzepte fügen sich in erstaunlicher Leichtigkeit und Offenheit zusammen. Susan Turcot lehnt zwei ihrer Holzköpfe auf Stecken an die Wand. Weiße Tücher umhüllen die Köpfe, die sich einander im Profil zuwenden. Der eine schreit mit offenem Mund, der andere schweigt mit zugekniffenem. Das Spiegelbild verbaler Kommunikation. Das Fotobild taktiler Kommunikation, gleich 19fach, bei Tiina Ketara: Eine Hand berührt ein Gesicht, eine Schulter, eine Brust. Es kann die eigene oder eine fremde sein, Männer, Frauen, alte und junge, berühren und werden berührt. Ein Lachen wird hinter der Hand versteckt und ein Nachdenken in ihr aufgestützt. „Der perfekte Mensch“ ist bei Johan Creten eine große grünglasierte Keramikbüste mit verbundenen Augen und entsetztem offenem Mund. Auf dem Kopf balanciert er einen riesigen roten Bierseidel – Rausch und Hirn. Die Büste fügt sich trefflich zu Lewandowskys' pastellfarbener Medizinergrafik, die einen nach hinten gekippten Kopf zeigt. Der Hals ist am Kehlkopf aufgeschnitten und ein Metallteil zeichnerisch hineinmontiert: Prothetik und Ästhetik.

Bis 29.10., Mi.–So. 14–19 Uhr, Sophienstraße 6 Brigitte Werneburg

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