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RTL, das Kabarett und die Aufklärung

Jeden Samstag um 22 Uhr kämpfen Geert Müller-Gerbes und seine Rasselbande in der TV-Show „Wie bitte?!“ gegen den Übermut der Ämter. Eine Studie über die exorzistischen Übungen einer vätermütterlichen Autorität  ■ von Michael Rutschky

Herr Müller-Gerbes knickt seine Handgelenke gern weich und ungeschickt nach hinten weg, was an die Hände des Bundeskanzlers erinnert, merkwürdig formlose Patschen, die so gar nicht zu dem großen, dicken und mächtigen Mann passen.

So dick wie der Kanzler ist Herr Müller-Gerbes noch lange nicht. Aber das Embonpoint reicht aus, um seine Autorität zu unterstreichen. Eine zugleich väterliche und nicht weniger mütterliche Autorität – ein Eindruck, dem Herr Müller-Gerbes merkwürdigerweise drastisch entgegentreten mußte.

Als er uns bei der Highlight- Sendung am 19. August in die Maske führte und auf einem der Schminkstühle Platz nahm, meinte er, die Arbeit der Maske an seinem silberweißen Schnauzer demonstrieren zu müssen. Der werde hier nicht angeklebt, der sei echt. Wie kam er darauf, daß wir das bezweifelt hätten?

Abgesehen von der Highlight- Sendung, bei der er uns, wie gesagt, durch die Räume des Backstage geleitete und zum Sakko ein gelbes Polohemd trug, übt Herr Müller- Gerbes seine Autorität an einem Pult stehend aus, sparsame Gestik der meist darauf ruhenden oder nur knapp darüber erhobenen Hände, weißes Hemd und Schlips, immer wechselnde Sakkos. Man kann die Szene auch so verstehen: Er hält uns, den ZuschauerInnen, einen Vortrag.

„Wie bitte?!“ handelt von der Unvernunft, die in der Welt herrscht, von Willkür und alltäglicher Tyrannis, vom „Übermut der Ämter“ (Shakespeare), wobei diese Ämter das Versandhaus Quelle, verschiedene TÜV-Stellen im Westdeutschen, ein Berliner Polizeirevier, ein Kölner Notar u. a. m. sein können. Bürger haben die entsprechenden Übermutshandlungen an „Wie bitte?!“ gemeldet, „Wie bitte?!“ ist diesen Meldungen nachgegangen, und jetzt, in der Sendung, werden diese Übermutshandlungen kabarettistisch nachgestellt und dank dem Gelächter des Studiopublikums einem Exorzismus unterworfen.

„Wie bitte?!“ handelt also nicht tragisch vom Übermut der Ämter (der bietet bei Shakespeare einen der Gründe, weshalb Hamlet Selbstmord erwägt), sondern komödiantisch; und außerdem präsentiert die Sendung die Anstalt RTL als eine Instanz, die dem Übermut der Ämter exemplarisch ein Ende macht. „Die Show, die sich einmischt“: Wenn das der Kanzler, ähm, Herr Müller-Gerbes, wüßte?!, darf jedesmal der Bürger seufzen, wenn ihm Einschlägiges widerfährt. Und wenn er's meldet, darf er jeden Samstag gespannt sein, ob heute Herr Müller-Gerbes über seinen höchstpersönlichen Fall Vortrag hält?!

Das Polizeirevier schickt einen Bürger, dessen Auto wegen Falschparkens abgeschleppt wurde, sinnlos durch die ganze Stadt; das Bürgermeisteramt von Ratzeburg auferlegt einem Zahnlabor die Fremdenverkehrsabgabe, weil die Touristenscharen im Lauenburgischen angeblich massenhaft Zahnschäden davontragen; der Kölner Notar schlüsselt seine Gebührenrechnung nicht auf, so daß das Unsinnige mancher Forderungen erst auf Nachfrage sichtbar wird.

Aber „Wie bitte?!“ setzt nicht nur, in Gestalt von Herrn Müller- Gerbes, die vätermütterliche Vernunft wieder in ihre Rechte ein. Den Exorzismus – kein approbiertes Instrument der Aufklärung – bewirkt eine Rasselbande von Kabarettisten, die jeden Fall von Willkür und Unvernunft im Studio, unter einem hoffnungsblauen Himmel, dessen Unendlichkeit zwei rechteckige Gitter mit Riffelglas abschirmen, möglichst drastisch und grotesk nachstellen und dadurch der überlegenen Vernunft von Herrn Müller-Gerbes respektive dem Publikumsgelächter gnadenlos ausliefern.

Wenn Herr Müller-Gerbes die vätermütterliche Vernunft repräsentiert, dann diese Rasselbande natürlich die Kinderschar, die in der Darstellung von Frechheit und Doofheit alles, wozu Kinder fähig sind, in Anschlag bringen dürfen – aber auch kindliche Artigkeit und Unschuld. Das sind dann die Geschädigten, denen die Ämter doof und frech kamen und denen jetzt Herr Müller-Gerbes zu ihrem Recht verhilft.

Dabei sind unter den Kabarettisten – deren Namen immer wieder fallen und auch im Abspann mit amerikanischer Geschwindigkeit abrollen, aber nicht in meiner Programmzeitschrift ausgedruckt sind wie der von Herrn Müller-Gerbes –, unter den Kabarettisten sind die Rollen, wer artig und wer frech und doof ist, nicht fix verteilt. Die doofe Blonde vom Quelle-Versand ist in einer anderen Szene die No-nonsense-Hausfrau, vor der sich zwei rabulistische Versicherungsvertreter blamieren.

Auffällig die Sorgfalt, mit der auf ausgewogene Verteilung der Dialekte geachtet wird; die Rasselbande hat abwechselnd schwäbisch und hanseatisch, berlinerisch und ruhrpöttisch zu chargieren, nur ein einziger ist immer derselbe Bayer. So hat die CDU sorgsam die konfessionelle und landsmannschaftliche Verteilung der Staatsämter auszutarieren; bloß die Rolle der CSU liegt immer fest.

„So was liebt der Prolo!“ konstatierte Jutta, als der doofe Berliner Polizist, der dem höflich anfragenden Bürger den Abschlepport seines Pkw nicht zu sagen vermochte, auch fortlaufend nach seiner Brille suchte, die er sich natürlich oben ins Haar gerückt hatte (der Bayer spielte ihn).

Das „Wie bitte?!“ des Titels bringt ihn gut zur Anschauung, den wuterfüllten Kleinbürger, der es einfach nicht fassen kann, mit welchem Übermaß an Dummheit, Frechheit und Gemeinheit man ihn tagtäglich konfrontiert, er, der doch nichts Unbilliges verlangt, nur ein wenig Entgegenkommen und Anstand. Warum wird man von Junkies angemacht, wenn man müde von der Arbeit zur U-Bahn läuft? Warum machen sich lustige junge Ausländer auf allen Sitzplätzen breit, die eigentlich den müden Deutschen zustehen? Warum zeigt das Fernsehen schon wieder Bilder aus Bosnien, wo wir eh nix machen können mit unserer Bundeswehr? Gibt es denn niemanden, der diesen Wahnsinn endlich stoppt?

So ist „Wie bitte?!“, wie alle erfolgreichen Fernsehsendungen, multifunktional, „überdeterminiert“, wie Professor Freud das für den Traum vorgeführt hat, der Ich, Es und Über-Ich gleichzeitig bedient.

Die Sendung entspricht dem herrschenden Familialismus – neben dem Konsumismus die zweite tragende Säule der gegenwärtigen Ideologie. Sie verhilft der vätermütterlichen Vernunft in Gestalt von Herrn Müller-Gerbes zur Herrschaft und belohnt das artige Kind aus der Rasselbande, das sich mit einer Beschwerde an RTL gewandt hat. Es etabliert RTL als Repräsentanten von Vernunft und Anstand.

Gleichzeitig aber darf die Rasselbande Frechheit, Doofheit und Gemeinheit in überaus lüsterner Breite zur Anschauung bringen, so daß es nicht nur zum Exorzismus, sondern auch noch zum Mitgenuß kommt.

Die Welt ist nicht nur, wie es Herr Müller-Gerbes vorführt, voller Unvernunft, die der Bundeskanzler oder Vatermutter durch rasches Eingreifen beseitigt; eigentlich ist die Welt voller Dämonen, die sich austoben und dabei eine Menge Spaß haben. Hier reicht das Fernsehen also wieder einmal hinter die Aufklärung zurück und in das Barock hinein, die bilderselige und abergläubische Gegenaufklärung, was dem Fernsehen heute noch so oft die Feindschaft bürgerlicher Intellektueller einbringt.

Es hat seine Schwierigkeiten mit den Dämonen und dem Exorzismus. Ich wüßte gern, wie oft „Wie bitte?!“ einen Zuschauer stimuliert, den Fall von Frechheit, Doofheit und Gemeinheit, um ihn melden zu können, selbst hervorzubringen. Einmal war von einem Fax mit dem „Wie bitte?!“-Logo die Rede, das ein Bürger selbsttätig zur Erpressung der Versicherung einzusetzen versucht hatte, was ihm natürlich schärfste Mißbilligung seitens der artigen Kinder einbrachte.

Auch die Geschichte von dem 16jährigen VW-Polo, den ein Bürger, nachdem er, trotz augenfälliger Mängel, die TÜV-Plakette erhalten hatte, gezielt einsetzte, um andere TÜV-Stellen zu blamieren, kam mir komisch vor. Der Bürger wird Herrn Müller-Gerbes und seine dämonische Rasselbande die ganze Zeit lüstern vor Augen gehabt haben bei dieser Operation.

Aber so etwas schadet der Sendung nicht. Auch wenn sie vor ihren eigenen Nebenfolgen warnen muß, bedient sie den Wunsch nach Vernunftherrschaft ebenso wie den nach der Herrschaft der Dämonen.

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