■ VLB
: Fast vergessen

Lothar Baier zitiert einen Satz von Claude Lévi-Strauss, der geeignet ist, den heutigen Pluralitätskitsch ein wenig zu konterkarieren: „Wenn die Menschheit sich nicht damit abfinden will, zum bloßen sterilen Verbraucher der Werte zu werden, die sie einzig in der Vergangenheit hat hervorbringen können, nur noch fähig, bastardhafte Werke, plumpen und läppischen Tand zutage zu fördern, wird sie wieder lernen müssen, daß jede wirkliche Schöpfung eine gewisse Taubheit gegenüber dem Reiz anderer Werte voraussetzt, die bis zur Ablehnung, ja Negation gehen kann.“

Lévi-Strauss weiß, wovon er spricht: Er war als Ethnologe schon in den dreißiger Jahren zum Zeugen der Bedrohung der exotischen Kulturen durch die westliche Expansion geworden. Soeben ist in großzügiger Ausstattung sein „Brasilianisches Album“ erschienen, das 180 Fotos von jenen Reisen versammelt, die zur Grundlage seines berühmtesten Buchs wurden: „Traurige Tropen“. Heute, sechzig Jahre nach seinen Besuchen bei den Caduveo, Boróro, Nambikwara, Tupi Kawahib und Mundé im Innern des südamerikanischen Urwaldes, von denen dieser Band Zeugnis ablegt, ist die Bilanz deprimierend: Durch Epidemien, die Zerstörung ihrer natürlichen Umwelt und Alkoholismus sind die Populationen stark geschwächt, und ihre Sprachen und Traditionen drohen von den Verbliebenen selbst vergessen zu werden.

Claude Lévi-Strauss: „Brasilianisches Album“. Aus dem Französischen von Hans-Horst Henschen. Carl Hanser Verlag 1995, 225 Seiten, gebunden, zahlreiche Schwarzweißfotos, 78 DM