Die Mutigen wurden zu Recht bestraft

Nur „offensichtlich schwere Willkürakte bei der Anwendung des DDR-Strafrechts“ rechtfertigen nach Ansicht des BGH die heutige Verurteilung ehemaliger DDR-Richter und Staatsanwälte.  ■ Aus Berlin Julia Albrecht

Gerade die Mutigen, jene, die ihren Wunsch, aus der DDR auszureisen, öffentlich artikulierten, werden den jüngsten Spruch des Bundesgerichtshofs (BGH) verfluchen. Denn die Richter und Staatsanwälte, die sie wegen ihres Freiheitsdrangs zu DDR-Zeiten verurteilten, bleiben nach dem jüngsten Willen der Richter straffrei.

Diese Konsequenz seiner Spruchpraxis bedauerte das Gericht gestern selbst: Es sei eine unbefriedigende Konsequenz seiner eigenen Rechtssprechung, „daß gerade massive Reaktionen der DDR-Justiz auf besonders mutiges Verhalten eher selten zu strafrechtlichen Sanktionen führen würde“. In dem Revisionsverfahren ging es um vier ehemalige DDR-StaatsanwältInnen und eine Richterin, die vom Berliner Landgericht wegen Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung zu Haftstrafen mit und ohne Bewährung verurteilt beziehungsweise freigesprochen worden waren.

In der Mehrzahl der 40 Einzelfälle, die gestern zur Entscheidung standen, hob der BGH die Verurteilungen des Landgerichts auf – und sprach frei. Denn: DDR-Juristen können nur dann wegen Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung belangt werden, wenn ein „offensichtlich schwerer Willkürakt bei der Anwendung des DDR- Strafrechts“ nachzuweisen sei. Dies komme – abgesehen von schweren Menschenrechtsverletzungen – insbesondere dann in Betracht, wenn die Straftatbestände des DDR-Strafrechts „überdehnt wurden“ und wenn die verhängten Strafen in einem „unerträglichen Mißverhältnis zu der abgeurteilten Strafe stand“. Darüber hinaus müssen für die Bewertung der fraglichen Fälle, so die Richter, auch die in der DDR geltenden Auslegungsmethoden und die dortige Rechtssprechung, sofern diese nicht ihrerseits menschenrechtswidrig gewesen sei, herangezogen werden.

Neu ist bei dem Urteil die Herausbildung bestimmter, sich wiederholender Fallgestaltungen. So hat das Gericht betont, daß Verurteilungen von Republikflüchtlingen in der Regel nicht als Rechtsbeugung zu qualifizieren seien. Auch eine Bestrafung wegen provokatorischem Zeigen von Plakaten habe dem Recht der DDR entsprochen, sofern diese Plakate den Freiheitswillen evident machten. Ebenso war es nach den Gesetzen der DDR Rechtens, Teilnehmer an bestimmten Demonstrationen zu inhaftieren. Der Vorsitzende Richter des Senats, Heinrich Laufhütte, betonte: Auch die Tatsache, daß die Juristen nun freigesprochen werden müßten, würde nicht bedeuten, daß sie sich rechtsstaatsmäßig verhalten hätten. So könne ihr damaliges Verhalten – trotz des Freispruchs – doch Konsequenzen für ihre weitere Karriere haben. Auch hätten die Opfer Anspruch auf Rehabilitierung.

Neu ist schließlich, daß der BGH in einigen wenigen Fällen die Urteile der Vorinstanz bestätigte und damit erstmals rechtskräftige Verurteilungen von DDR-Richtern und Staatsanwälten herbeigeführt hat.