Sie haben es ernst gemeint, Frau Schimmel!

■ Neue Vorwürfe, neue Appelle gegen die Friedenspreisträgerin: Eine Zeugin bestreitet, daß die Äußerung gegen Rushdie bloß eine spontane saloppe Bemerkung war

Berlin (taz) – Lucrezia Hartmann, Mitarbeiterin der Volkshochschule Aachen, wirft dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels vor, ihr Vertrauen mißbraucht zu haben. Am Mittwoch (vgl. taz vom 13. 9.) ging ein Brief Annemarie Schimmels durch die Presse, den Hartmann Börsenvereinsvorstand Kurtze zur vertraulichen Kenntnisnahme übermittelt hatte.

In dem Brief hatte Schimmel zu dem Vorwurf Stellung genommen, sie habe 1989 auf einer Versammlung in Aachen einen Satz geäußert, der einen Todeswunsch gegen Salman Rushdie beinhalte. Sie habe „leider die schlechte Angewohnheit, Ausdrücke wie ,den könnte ich umbringen‘ oder ,in den Rhein werfen‘ und ähnlichen Blödsinn auch zu meinen Freunden zu sagen“. Der Börsenverein, der zu seiner Entscheidung für die designierte Friedenspreisträgerin steht, beabsichtigte mit der unautorisierten Publikation dieses Briefes offenbar die Entlastung von Frau Schimmel. Die Äußerung erscheint im Schimmels Darstellung als unbedachte Stammtischrede, als ein womöglich peinlicher, aber nicht ernstzunehmender Ausrutscher. Hartmann möchte diese Darstellung nicht stehenlassen: „Was opportun erscheint, wird mitgeteilt, das nicht ins Konzept Passende verschwiegen.“

Der private Brief, der zu Schimmels Rechtfertigung Anlaß gab, liegt der taz nun vor (siehe obenstehenden Ausriß). Er komplettiert das Bild jenes Abends, an dem die umstrittenen Äußerungen fielen. Darin schreibt Hartmann: „Es war nicht meine Absicht und ist nicht meine Sache, mich in die öffentliche Diskussion um den Friedenspreis einzumischen. Da diese Diskussion sich jedoch auch an Ihren Äußerungen am 22. Juni 1989 hier in Aachen entzündet hat und ich als Gesprächspartnerin genannt worden bin, konnte und kann ich nicht anders als das bestätigen, was Herr Klein Ihnen zum Vorwurf macht: nämlich in dem Gespräch, das auf Ihren Vortrag über den Islam folgte, gesagt zu haben, Salman Rushdie gehöre getötet. Sie haben in den letzten Wochen mehrmals betont, Sie lehnen die von fanatischen Muslimen verhängte Todesstrafe für Rushdie ,selbstverständlich‘ ab. Möglicherweise stimmt dies heute. Wer Sie jedoch damals gehört hat, kann nicht anders als daran zweifeln. Haben Sie vergessen, daß und mit welcher Überzeugung Sie Rushdie den Tod wünschten? Haben Sie wirklich Ihren Satz vergessen: * * * (im Faksimile geschwärzt). Ich jedenfalls habe ihn noch heute im Ohr. [...] Ich bitte Sie zu akzeptieren, daß ich – bei allem Verständnis für Ihre schwierige Situation – nicht zu Ihren Gunsten lügen kann.“ Den Wortlaut des inkriminierten Satzes will Hartmann der Presse nicht mitteilen, weil sie dies Schimmel versprochen habe. Ralph Giordano, der die Briefe kennt, hat verraten, darin heiße es, „Rushdie gehöre umgebracht, sie würde es am liebsten selbst tun“.

In einer gestern der taz zugegangenen „offenen Erwiderung an den Börsenverein“ fordern Giordano, Günter Wallraff, Alice Schwarzer, Reinhold Neven DuMont und Helge Malchow, die Initiatoren des Protestes gegen Schimmel: „Um sich selbst kundig zu machen, daß Annemarie Schimmel ihr Bekenntnis zur Fatwa und Wunsch zur eigenen Beteiligung daran keineswegs en passant, flüchtig oder gar verallgemeinernd gemeint, sondern mit Verve und großer innerer Beteiligung vorgebracht hat, fordern wir den Börsenverein auf, den Brief der Zeugin von Annemarie Schimmel [...] selbst einzusehen. [...] Der Börsenverein könnte nach dieser Lektüre wohl Diskretion wahren, aber nicht mehr behaupten, Annemarie Schimmels Äußerungen seien ,burschikose Formulierungen‘ gewesen, ,aus Blödsinn‘ gemacht oder mit anonymer Stoßrichtung.“ Jörg Lau