Der Preis des Pflegemoduls

■ Pfleger müssen künftig Punkte sammeln / Pflegedienstanbieter und Krankenkassen streiten um Abrechnung / Morgentoilette für 17,50 Mark?

Hamburgs Pflegedienste sind verärgert: Das Angebot, das die Kassen in Hamburg vorlegen, ist ihrer Ansicht nach zu dünn, um eine qualitativ angemessene Pflege leisten zu können. 58 Mark fordern die Anbieter von Pflegeleistungen. Mit einem Stundensatz von rund 42 Mark bleiben aber die Kassen der Hansestadt hinter den Preisen anderer Bundesländer zurück. .

Da sich keine Annäherung abzeichnete, erklärten Caritas, Arbeiterwohlfahrt, Diakonie, Deutsches Rotes Kreuz und der Verband ambulanter Krankenpflegedienste, die zusammen mehr als 300 ambulante Pflegeeinrichtungen vertreten, die Verhandlungen unlängst für „ergebnislos“ beendet. Einigen sich die Kontrahenten nicht bis zum 30. September, wäre das ein Fall für die gesetzlich vorgesehene unabhängige Landesschiedsstelle. Die ist aber derzeit noch gar nicht arbeitsfähig.

Leidtragende des Kräftemessens sind die Pflegebedürftigen. Denn ohne Einigung werden sie direkt von den Pflegediensten zur Kasse gebeten. Rund 6000 Pflegebedürftige, die derzeit Leistungen der Pflegekassen beziehen, wären in Hamburg davon betroffen, so schätzt Wolfgang Zillmer, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtsverbände.

Doch nicht nur die zu niedrigen Entgelte sorgen für Unmut, Kritik wird auch am neuen Abrechnungsmodus nach dem Gesundheitsstrukturgesetz laut: Statt Stundensätzen werden künftig sogenannte „Pflegemodule“ bezahlt, für die es Punkte gibt. Wie viele richtet sich danach, wieviel Zeit diese Tätigkeiten durchschnittlich in Anspruch nehmen. Da ist zum Beispiel die „kleine Morgentoilette“. Der Service: Hilfe beim Aufstehen, beim Anziehen, beim Waschen, bei Mund- und Zahnpflege und beim Kämmen. Dafür gibt es 250 Punkte. Pro Punkt wollen die Pflegekassen sieben Pfennig bezahlen. Also würde die kleine Morgentoilette 17,50 Mark kosten.

Die Kritik der Pflegedienste an diesem System ist zum einen, daß der Punktwert zu niedrig angesetzt ist. Sie fordern 9,6 Pfennig, in diesem Fall also 24 Mark. Zum anderen sei die Zeit zu knapp kalkuliert. „Mitarbeiter werden dann nur noch herumgehetzt, um diese Zeiten auch einzuhalten und möglichst viele Punkte zu sammeln“, befürchtet Holger Detjen, Leiter der Sozialstationen Barmbek-Nord und Poppenbüttel.

Ein weiteres Ärgernis für die Pflegedienste und die hilfsbedürftigen Menschen ist darüber hinaus die schleppende Bearbeitung der Anträge zur Pflegeversicherung. Für die Anbieter führt das soweit, daß die Verzögerungen mittlerweile ihre Haushaltsplanungen in Frage stellen. Holger Detjen fordert deshalb vorläufige Gutachten, die als Grundlage für eine Finanzierung dienen könnten. Denn so lange nicht entschieden ist, ob ein Kranker Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung hat und wie hoch diese sein werden, solange wissen auch die ambulanten Pflegedienste nicht, ob sie die Pflege, die sie zwischenzeitlich leisten, auch jemals bezahlt bekommen. Daraus folgt ein hohes wirtschaftliches Risiko und die Gefahr, daß einzelne Patienten nicht mehr bedarfsgerecht versorgt werden.

Detjen weiß auch von „abenteuerlichen“ Einstufungen durch manche medizinische Gutachter: „Ein Patient hatte früher Anspruch auf vier Stunden Pflege täglich, jetzt sind es neun; bei einer anderen Patientin wurde sie von einst drei auf eineinhalb Stunden reduziert.“

Finanzielle Verschlechterungen durch die Pflegeversicherung fangen die Sozialämter nicht auf. Zwar hat der Senat Mitte August eine „Besitzstandsregelung“ nach einer Empfehlung der Bundesregierung beschlossen, wonach ein Pflegebedürftiger finanziell nicht schlechter gestellt sein soll als das vor der Pflegeversicherung der Fall war. Doch noch haben die Sozialämter keine konkreten Anweisungen, wie diese Entscheidung umgesetzt werden soll.

Statt dessen orientieren sich die Sozialämter streng an den Richtlinien des Pflegeversicherungsgesetzes. Dieses bezieht sich allerdings nur auf grundpflegerische Tätigkeiten und hauswirtschaftliche Versorgung. Andere gesundheitsfördernde Hilfen wie die psycho-soziale Beratung von PatientInnen und Angehörigen fallen unter den Tisch. „Wir benötigen für unsere kostenlosen Angebote wie Patientengruppenarbeit, Fahrten zum Mittagstisch oder die Seniorenbildung zusätzliche finanzielle Mittel, um den Stadtteilbezug zu erhalten und präventiv wirken zu können“, erklärt Detjen. „Die Kostenträger müssen sich eben entscheiden, ob sie eine solche umfassende und qualifizierte Arbeit wollen oder diesen Bereich privaten Billiganbietern überlassen.“

Jörg Königsdorf

Patricia Faller