: Mut zur Peinlichkeit
■ Im Jungen Theater wurde die Improvisation zur Kunst erhoben. Mark Scheibe wurde seinem Ruf als Tom Waits Bremens gerecht, sein Partner Kriddl sang auf Zuruf / „Musik ist Liebe“
“Tanz den Mussolini!“ war ja damals in der Disco noch eine vergleichsweise einfache Aufgabe, aber „Sing die Ballonseide!“ ist nun wirklich ein harter Brocken. Doch genauso wollten es die beiden Jazzkomiker Mark Scheibe und Kriddl ja auch haben. In einer Kostümierung, die keinen Zweifel daran ließ, daß hier gelacht werden sollte, forderten sie das Publikum Freitag nacht im Jungen Theater auf, ihnen möglichst absurde Worte zurufen, und aus Vokabeln wie „Barockgoulasch“, „Warzenschweinanalytiker“ und „Senfgurkenstreuer“ improvisierten Pianist Scheibe und Sänger Kriddl dann flugs möglichst schräge Jazzsongs.
Diese Mischungen von Nonsenstexten und Musikpartikeln, die sich die beiden aus einem reichen Erinnerungsschatz an Jazzstilen von Ragtime bis Bebop zusammensuchten, wurden mit zunehmendem Alkoholkonsum auf und vor der Bühne immer unterhaltsamer. Beeindruckend war vor allen Dingen die Frechheit, mit der die beiden Spontankünstler sich an Grammatik und Jazztradition vergingen. So wurde Ellingtons „Take the A-Train“ souverän in „Bremen hat eine Straßenbahn“ eingedeutscht, und aus dem Dilemma, einen Reim auf Ballonseide zu finden, retteten sich die beiden in die Melodie des „Girl from Ipanema“.
Zwischen den Zuruf-Improvisationen spielten sie auch einige Standards wie „Round Midnight“, „My Funny Valentine“ oder das durch Chet Bakers Interpretation bekannte „Everythinghappens to me!“. Dabei zeigten die beiden zum Teil erstaunlich viel Ehrgeiz, aber irgendwann wurde der Drang zum Herumalbern doch übermächtig. Und wenn sich dann Kriddl bei Mark laut mit “Wir wollten das eigentlich nicht witzig machen!“ beschwerte, waren sie wieder sicher im Hafen ihrer Blödeleien gelandet. Die alte Komikerweisheit, daß man etwas schon wirklich gut können muß, um es so schlecht zu machen, daß es witzig wirkt, gilt offensichtlich auch für Mark und Kriddl. Auf der Trompete wurde zwar nur jeweils ein Ton gehupt, aber ein Saxophonsolo von Kriddl war wirklich schön gespielt. Mark Scheibe klimperte sich auf dem Piano cool durch alle Stile und hat sich neben all den absichtlichen Patzern nicht einmal wirklich verspielt. Oder verwandelte er einfach seine Fehler in Witze ? So genau konnte man das bei diesem Programm halt doch nie sagen, und diese Unschärfen zwischen absichtlicher und unabsichtlicher Komik machten den Auftritt um so interessanter.
Es wurde auch nie klar, ob eine penetrante Zwischenruferin im Publikum nicht mit zur Show gehörte: Zuerst schienen ihre Kommentare mit schneidend-lauter Stimme nur ganz normal verrückt zu sein, aber dann wurde sie immer aktiver und spätestens, als sie auf die Bühne gebeten wurde und von ihren komischen Erlebnissen auf der hafa berichtete, wurde der Verdacht übermächtig, daß sie hier dieselbe Rolle spielte wie die beiden Opas in der Muppetshow.
Bei allem Unsinn hielten sich die beiden Künstler streng an das ausgedruckte Programm: „Erster Teil/Pause/Zweiter Teil/Ende/Zugabe“, und mit etwas gutem Willen konnte man auch ihr Motto „Musik ist Liebe“ in ihrem Dada-Jazz entdecken. Denn „was sich liebt, das neckt sich.“ Willy Taub
Mark Scheibe & Kriddl treten nochmal am Freitag und Samstag um 22.45 Uhr im Jungen Theater auf.
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