■ Die Liebe zum Auto verächtlich zu machen, hilft nicht. Es geht um einen Gewinn an Lebenslust und nicht um Verzicht
: Der eigene Lebensraum

Also, zwölf Zylinder, Ledersitze und das feine Schnalzen beim Schließen des Wagenschlages machen uns nicht an. Können wir nicht verstehen, die Leute, die für ein angesagtes Kabriolett ihr letztes Hemd geben und doch nur im Stau stehen. Allenfalls mal mit dem Astra von „Stadt-Teilauto“ raus ins Grüne. Sicher, mit dem VW-Büschen durch Portugal, klar, das hat was. Aber der Rummel in Frankfurt, diese hessische Nachgeburt zu Schröders Autohaufen – uns egal.

Und tatsächlich: Landauf, landab fordern über 70 Prozent bundesdeutscher GroßstadtbewohnerInnen Tempo-30-Zonen, Vorrang für Busse und Bahnen und autofreie Innenstädte. Derweil fahren sie weiter Auto. Stadtväter und Verkehrsplaner stecken in einem Dilemma: Wird dem Wunsch nach Verkehrsbeschränkungen entsprochen, sehen sie sich mit einer Welle von Protesten konfrontiert; Politiker müssen um ihre Wiederwahl fürchten. Unterlassen sie hingegen verkehrsberuhigende Maßnahmen, heizen ihnen die Bürgerinitiativen und AnliegerInnen kräftig ein.

Das Auto, Synonym für Lebensqualität, Freiheit, Freizeit und Unabhängigkeit, ist eben mehr als bloßes Beförderungsmittel. Es bedeutet persönliche Unabhängigkeit, Urlaub und Abenteuer, Flucht aus grauem Alltag. Es dient als Knutschkugel und letztes Refugium, ist dröhnende Disko, phallisches Potenzsymbol und soziale Errungenschaft.

Mittels Raserei zur Disko glaubt sich der junge Mann seiner Angebetenen empfehlen zu können. Der emotionale Kick, die Kurve gerade noch zu kriegen, eben noch ein Überholmanöver zu riskieren, bevor Mann in die Zielgerade der Reihenhaussiedlung einbiegt, läßt Schumi in der Phantasie erstehen. Solche Werte und Lustquellen werden nicht ohne weiteres verschrottet, sie werden gerade mal wieder in Frankfurt feilgeboten. Zwar wird die stets wachsende Verkehrslawine zunehmend als Bedrohung allgemeiner Lebensqualität empfunden. Eigene Mobilität hingegen gehört allenthalben zur persönlichen Lebensqualität.

Die scheinbare Schizophrenie des autofahrenden und Verkehrsberuhigung fordernden Bürgers klärt sich, wenn man zwischen dem Auto als Beförderungsmittel und dem Auto als Symbol unterscheidet: Als Fortbewegungsmittel frustriert es im Stau und bei der Parkplatzsuche. Umsteigen erscheint vielen Menschen dann vorstellbar. Als seelisches Symbol für Freiheit, Freizeit, Unabhängigkeit und Status bleibt der eigene Pkw vom Stop-and-go-Frust weitgehend unberührt. Die Illusion, jederzeit gen Süden aufbrechen und alles hinter sich lassen zu können, sozusagen die grenzenlose Freiheit vor der Tür stehen zu haben – sofern Parkplätze vorhanden –, diese Illusion bleibt selbst im längsten Stau erhalten.

Das Auto stehenzulassen, um mit dem Bus den Einkauf zu erledigen, mit der Bahn den Wochenendtrip zu tätigen oder zur Arbeit zu radeln, ist keine Entscheidung, die im Portemonaie stattfindet, keine bloß zweckrationale Abwägung und schon gar kein Ausdruck ethischer Überlegenheit. Laufende Kosten von einer Mark pro Kilometer, wie vom in dieser Hinsicht sicher unverdächtigen ADAC für Mittelklassewagen errechnet, lassen öffentliche Verkehrsmittel konkurrenzlos günstig dastehen.

Die ungebremste Autolawine illustriert drastisch, daß selbst horrende Kosten die Wahl des Verkehrsmittels häufig kaum beeinflussen. Denn viele Menschen identifizieren sich mit ihrem Auto und über die Art, es zu schmücken und zu fahren, es zu putzen oder gegen Angriffe zu verteidigen. Da hilft es so gut wie gar nichts, die Liebe zum Automobil verächtlich zu machen. Es geht nicht um Verzicht. Es geht um einen Gewinn an Lebenslust.

Die Wiederentdeckung des unmittelbaren Lebensumfeldes, das Er-Fahren des eigenen Wohnviertels und des Weges zu Schule und Arbeit, das Bier im Straßencafé oder die Zeitungslektüre auf öffentlichen Plätzen macht die Identifizierung mit dem eigenen Lebensraum möglich – statt der Identifizierung mit dem eigenen Fahrzeug. Dann ist weniger Auto kein Verzicht. Es ist ein Stück Freiheit. Und nur das überzeugt dauerhaft.

Ach übrigens, unsere neue Stereoanlage: zweihundertfünfzig Watt bei vier Ohm, profischwarz, kaum die Anzeige sichtbar, absolut nur das Nötigste, die Fernbedienung Super-Slim-Line, liegt absolut geil in der Hand. Designerboxen. Sub-Woofer. Nur eben der kurze Blick rüber ins Rack. Selbst wenn sie schweigt, ist sie da. Sicher – die kann man nie ausfahren. Aber das Gefühl, man könnte ... Micha Hilgers