■ Nebensachen aus Istanbul
: Eins zu null für die Trinker

Er habe keine Zeit mehr, auf die Jagd zu gehen, erzählt Halil Bakirci, Chef der Ordnungskräfte der Stadtverwaltung im Istanbuler Stadteil Beyoglu. Die Wildschweine können aufatmen – Bakirci, Mitglied der islamistischen Wohlfahrtspartei, die den Oberbürgermeister und die meisten Bezirksbürgermeister in Istanbul stellt, macht heute Jagd auf gastronomische Betriebe, die nicht davon ablassen, Alkohol auszuschenken. „Die Massen hungern, während bösartige Elemente in den Straßencafés und Kneipen genüßlich essen und trinken“, heißt es.

Das milde Istanbuler Klima bringt es mit sich, daß der verbrecherische Alkoholkonsum auch noch öffentich zur Schau gestellt wird – da muß Bakirci etwas tun. „Beschlagnahmt die Tische und Stühle“, weist er die blauuniformierten Männer an, die binnen weniger Minuten das Mobiliar einer Straßenkneipe in das städtische Müllauto befördern.

Doch die treuen Gefolgsleute des Propheten beißen sich die Zähne aus – das Volk der Türken ist ein Volk der Trinker. Allein im Bezirk Beyoglu, dem Kultur- und Vergnügungszentrum der Stadt, gibt es Tausende gastronomische Betriebe, die Alkohol ausschenken. Es kommt hinzu, daß die rechtlichen Möglichkeiten der Stadtverwaltung, gegen Kneipen vorzugehen, beschränkt sind. Um dem Image der Partei, die den Begriff der Toleranz auf ihre Propagandafahnen geschrieben hat, nicht zu schaden, will man auch den wahren Grund der Feindschaft, nämlich den Alkohol benennen. Damit aber ist nichts zu verbieten, also saugt man sich irgendwelche Gründe aus den Fingern, um Cafés, Kneipen und Restaurants schließen zu können. „Das Restaurant verfügte über keine Spucknäpfe“ oder „Die Kellner trugen keinen weißen Anzug“ kann Grund genug sein – dank einer uralten Verfügung, die tatsächlich Spucknäpfe und weiße Anzüge vorsieht. Doch auch diese Attacken verfehlen ihre Wirkung. Großbetrieben gleich unterhalten die pfiffigen Wirte eine Schar von Rechtsanwälten. Sofort wird vor Gericht eine einstweilige Verfügung gegen die Schließungsbescheide der Stadtverwaltung erwirkt. So bleiben den selbsternannten Militanten Gottes nur die Straßen und Gassen, um Jagd auf Stühle und Tische zu machen.

Die Gasse Nevizade ist der berühmteste Straßenzug in Beyoglu. Allein hier geben sich täglich Tausende verirrter Menschen dem Anisschnaps Raki und den köstlichen Vorspeisen Meze hin. Doch Jäger Bakirci gibt nicht auf. Er schickte ein stinkendes Müllauto in die Gasse Nevizade, die für den Straßenverkehr gesperrt ist. Tagelang stand das Gefährt – angeblich mit Motorschaden – mitten unter den Trinkern, die sich selbst von den Fliegen und dem Dreck nicht abschrecken ließen und weiter ihren Raki nippten. Die Wirte erstatteten Anzeige, und subversive Elemente schlugen die Scheiben des Müllautos ein.

Die Wirte wehren sich zusehends. Dank ihres effizienten nachrichtendienstlichen Apparates wissen sie, wo sich die blauuniformierten Ordnungshüter befinden, und räumen kurz vor deren Eintreffen Tische und Stühle von der Straße. Kein Wunder: Im städtischen Apparat soll es nur von Spionen wimmeln – heimliche Trinker, deren Herz zerbricht, wenn sie ihren Trinkgenossen die Tische wegziehen sollen.

„Ein Guerillakrieg ist nicht gewinnbar. Lassen wir die Finger davon“, raten dieser Tage islamistische Ideologen ihren Stadtpolitikern. Ömer Erzeren