„Der Pfarrer hat es verboten“

Am Wochenende startete das Kirchenvolksbegehren. In vielen Gemeinden traut sich das Kirchenvolk nicht, gegen seine Hirten zu opponieren  ■ Aus Frankfurt/Main Heide Platen

St. Leonhard am Frankfurter Mainufer ist ein romanisch stiller, kontemplativer Ort. Das blieb er auch am frühen Samstagabend. Von UnterschriftensammlerInnen zum Auftakt des Kirchenvolksbegehrens ist in und vor den drei römisch-katholischen Kirchen in der Innenstadt keine Spur zu entdecken. Auch die Liebfrauenkirche gleich hinter der Zeil, in der täglich mittags erfolgreich ein Fünf-Minuten-Gottesdienst für gestreßte Großstadtmenschen angeboten wird, ist ziemlich leer. Wo frau unterschreiben kann? Nirgends, hier bestimmt nicht! Was denn überhaupt? Gegen das Zölibat? Die ältere Dame ist rechtschaffen sauer: „So ein Quatsch!“ Kirche ist Kirche und soll so bleiben, wie sie ist. Hinter ihr steht ein Heiliger Antonius, hält ein Kindlein auf dem Arm und lächelt fein auf die Empörte herab. Ob sie, unchristliche Bosheit, wisse, daß der Heilige Vater laut Rechtschreibreform demnächst klein geschrieben wird: „Jesses, es gibt nix Heilischeres als de Vadder!“ Schneller Abgang.

Auch die von den Frankfurtern fälschlich und etwas großspurig „der Dom“ genannte St. Bartholomäus-Kirche gehört, wie fast alle römisch-katholischen Gemeinden der Stadt, zum Bistum Limburg. Dem steht der als liberal und weltoffen bekannte Limburger Bischof Kamphaus vor. Daß auch er sich gegen das Kirchenvolksbegehren ausgesprochen hatte, löste bei vielen seiner Schäflein Enttäuschung aus. Nicht so bei Pfarrgemeinderätin Schmidt. Sie verteilt in St. Bartholomäus Touristeninformationen und herzt kleine Kinder. Kirchenvolksbegehren? „Hier nicht!“ Es gebe wichtigere gesellschaftliche Probleme in der Welt, Armut und Arbeitslosigkeit zum Beispiel, als die innere Verfaßtheit der Kirche. Das hat jedenfalls der Bischof gesagt. Außerdem, schwerwiegender noch: „Der Pfarrer hat es verboten!“ Und alle im Pfarrgemeindevorstand haben dann unterschrieben, dagegen natürlich. „Sie wollen hier doch nicht etwa Unterschriften dafür sammeln?“ fragt sie und blickt mißtrauisch auf den Notizblock.

Es ist gerade erst 18 Uhr. Die Messe beginnt eine halbe Stunde später. Und schon strömen die Menschen durch das Tor der St.- Johannes-Kirche im Frankfurter Vorort Unterliederbach. Die Gemeinde ist besonders engagiert für das Volksbegehren eingetreten. Zu Beginn des Gottesdienstes ist die Kirche voll. „Das ist“, sagt Pfarrer Werner Meuer, „hier immer so.“ Wie er das macht? Es liegt nicht an der flotten Musik, die an diesem Abend von einer Jugendgruppe gespielt wird, nicht daran, daß Gemeindemitglieder Texte lesen, eine Frau die Predigt hält, daß diesmal die Pfarrgemeinderäte der vier Gemeinden des Dekanats Höchst gemeinsam die Eucharistie feiern. Meuer beteiligt die Gemeinde, Junge und Alte, seit langem an der Gestaltung des Gottesdienstes: „Ich rede ihnen da nicht hinein. Ein Pfarrer hat nicht allein den Heiligen Geist.“ Dafür muß er Spannungen aushalten, wenn ältere und junge Menschen Unterschiedliches wollen: „Wir bieten hier auch die klassische lateinische Messe an.“

Nach dem Gottesdienst stellt ein Ehepaar klar, daß es „auf keinen Fall unterschreiben“ werde, „ganz bestimmt nicht“. Die beiden haben nichts gegen moderne Formen des Gottesdienstes, gegen die Mitarbeit von Laien und gegen den „Klerikal-Pop“. „Die Toccata von Bach“, sagt er, „ist mir lieber, aber wir finden auch das schön.“ Die Unterschriftensammlung geht ihnen allerdings zu weit: „Wir haben Angst, daß das die Kirche spaltet.“ In Unterliederbach werden die Listen ab Montag im Gemeindehaus, im Kindergarten, im Krankenhaus und in einigen Geschäften ausliegen. Schleppend sei die Aktion angelaufen, wird am Sonntag morgen berichtet. „Wir lassen uns Zeit“, hatte eine junge Befürworterin gesagt, „wir wollen endlich diskutieren und nicht spalten.“ Und hatte prompt die Zusage der Unterschrift eines stockkatholisch kindheitsgeschädigten Atheisten: „Wie gut, daß ich immer zu faul war, um auszutreten!“