Frieden schaffen, auch mit Waffen

■ Die Grünen sind auf ihrem Länderrat einem Kompromiß in der Bosnien-Debatte näher gekommen: Machttransfer auf supranationale Organisationen ist legitim

Berlin (taz) – „Nach langem Anlauf doch noch gesprungen“, lärmte Joschka Fischer am Sonntag vormittag aufgeräumt. „Ich hoffe, ihr schließt euch alle Ludger an.“ Die Aufforderung galt dem Länderrat des Bündnis 90/Die Grünen, der am Wochenende in Berlin die Frage der Militärintervention diskutierte. Tatsächlich lieferte der ehemalige Parteisprecher Ludger Volmer in der für die Partei so existentiellen Bosnien- Debatte das Stichwort, unter dem ein Kompromiß für die Mehrheit der Partei sich abzeichnen könnte. Nachdem er die Interventionisten, also diejenigen, die Militäreinsätze in Bosnien befürworten, sieben Minuten gegeißelt hatte, wandte er sich in der verbleibenden letzten Minute auch kritisch an das eigene Lager: „Eine Entwaffnung der Nationalstaaten, eine Eindämmung nationalistischer Politik funktioniert nur bei einem echten Machttransfer auf eine supranationale Ebene.“

Nicht alle, die daraufhin klatschten, schienen zu wissen, was letztlich damit gemeint ist. Zum Machttransfer an UNO und OSZE, das weiß Volmer, gehört letztlich auch, diese Organisationen in den Stand zu versetzen, Sanktionen militärisch durchzusetzen. Genau hier liegt die Sollbruchstelle für Bündnis 90/Die Grünen, genau dies trieb den Länderrat um, das höchste Gremium zwischen den Parteitagen: Kann eine pazifistische Partei wie die Grünen unter Umständen den Einsatz von Militär als Ultima ratio gutheißen? Seit der einsame Star der Partei, Joschka Fischer, „endlich“, wie Christa Sager anmerkte, vor Wochen mit seinem Bosnien-Papier auf den Markt kam und darin den militärischen Schutz der UN-Schutzzonen forderte, drängt der seit dem Ausbruch des Jugoslawien-Krieges rumorende Konflikt bei den Bündnisgrünen einer Lösung zu, die mehr ist als ein mühsamer Formelkompromiß mit einer Halbwertszeit von wenigen Wochen. In einer engagierten, rhetorisch geschickten Rede verteidigte Fischer seine Position. „Warum“, so der Fraktionschef, „sind wir entschieden dafür, daß hier Asylsuchende von der Polizei, auch mit dem Einsatz gewaltsamer Mittel, geschützt werden, und warum sollen wir denselben Leuten den Schutz vor rassistischer, faschistischer Gewalt in Srebenica verwehren?“ Parteisprecher Jürgen Trittin, der in der Bosnien-Debatte zu den ernergischsten Kritikern Fischers gehört, blieb eine Antwort nicht schuldig. „Weil die Nato keine internationale Polizeitruppe ist, sondern ganz andere Interessen vertritt und, um im Bild zu bleiben, mangels besserer Alternativen die Häuser der Skinheads zerbombt.“

Bereits in seiner Eröffnungsrede zu Beginn des Länderrats am Samstag mittag hatte sich Trittin zum Wortführer der antiinterventionistischen Linie gemacht: „Wer Intervention will, muß auch der Bildung einer Interventionstruppe zustimmen und hat dann kein Argument mehr gegen Volker Rühes Schnelle Eingreiftruppe. Damit legitimieren die Grünen die Instrumente einer militärisch gestützten Außenpolitik.“ Am unversöhnlichsten prallten die Gegensätze in den Beiträgen von Christian Ströbele und Waltraud Schoppe aufeinander. Beide gehören zur Gründergeneration der Grünen, beide waren oder sind für die Partei im Bundestag, und beide gehören zu denjenigen, die die größten Schwierigkeiten mit einem Kompromiß haben werden.

Für Ströbele findet in Bosnien zur Zeit ein „Nato-Krieg“ statt, den man gefälligst auch so nennen solle und dem Grüne niemals zustimmen dürften. „Selbst die Verbrechen in Srebrenica rechtfertigen nicht, daß auch Grüne wieder einen Krieg rechtfertigen.“ Für Waltraud Schoppe sind die Ströbeles diejenigen, die schlicht die Augen vor einem Völkermord in Europa verschließen und sich weigern, die veränderte Realität Europas seit 1989 zur Kenntnis zu nehmen. „Wir müssen auch die Nato neu bewerten“, ist ihre Folgerung aus dem Balkankrieg, eine Forderung, die die große Mehrheit auch angesichts Bosniens noch als Zumutung empfindet.

Neben den unversöhnlichen Antagonisten suchten die meisten RednerInnen jedoch eher nach Gemeinsamkeiten. Bis auf wenige Ausnahmen blieb die Tonlage der Auseinandersetzung frei von persönlichen Tiefschlägen, wurde statt dessen betont, wie stolz die Bündnisgrünen darauf sein können, die Diskussion um Krieg und Frieden stellvertretend für die anderen Parteien und letztlich die ganze Gesellschaft zu führen. So sah Joschka Fischer im Gegensatz zu Waltraud Schoppe durchaus die Gefahr, die sich aus der Befürwortung eines militärischen Einsatzes in Bosnien ergibt. Bezugnehmend auf die beiden Lager in der Partei wandte er sich mit zwei Fragen „an uns“ und „an euch“. „Wir müssen die Frage beantworten, wie wir verhindern, zu Stichwortgebern einer falschen, militaristischen Politik zu werden und damit den Rühes den Weg zu ebnen. Ihr müßt klären, wie ihr euch aktuell, aber auch zukünftig gegenüber den Opfern völkischer, rassistisch motivierter Kriege verhalten wollt, die nicht nur in Ex-Jugoslawien, sondern auch in der GUS und Afrika stattfinden und noch stattfinden werden.“

Bis zum Parteitag Anfang Dezember müssen die Antworten auf diese Fragen vorliegen. Dann wollen die Bündnisgrünen die Leitlinien ihrer zukünftigen Außenpolitik abstimmen und zeigen, daß „politischer Pazifismus“ und das Eintreten für die Menschrechte – zur Not eben auch mit Gewalt – keine unvereinbaren Positionen sind. Jürgen Gottschlich

Siehe auch Seite 10