■ Reihenweise entfliehen der SPD führende Köpfe. Der Anfang vom Ende des Parteivorsitzenden scheint eingeläutet, auf dem Parteitag im November droht ein Scherbengericht.
: Der letzte macht das Licht aus

Reihenweise entfliehen der SPD führende Köpfe. Der Anfang vom Ende des Parteivorsitzenden scheint eingeläutet, auf dem Parteitag im November droht ein Scherbengericht.

Der letzte macht das Licht aus

Nun haben sich von den „vielen guten Köpfen“, derer sich Rudolf Scharping in der SPD erfreut, schon wieder zwei führende von ihm abgewendet. Mit Karsten Voigt und Christoph Zöpel verlassen zwei langjährige Mitglieder den Parteivorstand, die eines gemeinsam haben: beide vertreten eine Position, die von der Mehrheit der Partei nicht geteilt wird. Voigt befürwortet seit langem eine militärische Intervention in Bosnien; Zöpel, der zugleich stellvertretender Landesvorsitzender der nordrhein-westfälischen SPD ist, hatte aus seiner ablehnenden Haltung zum Braunkohletagebau in Garzweiler II keinen Hehl gemacht.

Der Dissens zur Parteilinie währte bei beiden bereits geraume Zeit. Voigts Lamento, daß im Vorstand Außenpolitik nur eine untergeordnete Rolle spiele, dürfte auch Scharping bekannt sein. Mehr als die Rücktrittsankündigung wird den Vorsitzenden die Frage umtreiben, warum sie zum jetzigen Zeitpunkt erfolgt. Auch wenn er Scharping von seiner Kritik ausdrücklich ausgenommen hat, muß Voigt klar sein, daß er dessen Position nachhaltig schwächt.

Den außenpolitischen Sprecher Voigt dürfte gewurmt haben, daß zur gleichen Zeit, als er seinen Schritt begründete, der Länderrat der Grünen die Bosnienfrage heftig debattierte – angefacht von Joschka Fischer, der wie er eine minoritäre Position innehat. Eine solche Diskussion wäre bei der SPD zur Zeit undenkbar, „stickig und verletzend“ sei die Atmosphäre, klagte der SPD-Außenpolitiker Norbert Gansel. Und dafür trägt, Gansel braucht es gar nicht auszusprechen, der Vorsitzende die Verantwortung.

Stickig ist dessen Reaktion auf die Personalien der vergangenen Wochen. Schröders Rauswurf zielte auf den Konkurrenten um die Kanzlerkandidatur und traf den wirtschaftspolitischen Sprecher, von dem Scharping noch immer Mühe hat, sich zu unterscheiden. „Unvermeidlich“ sei der Schritt gewesen, erklärt Scharping hernach dem Präsidium, das es dabei bewenden ließ und diesen Tagesordnungspunkt nicht weiter behandelte. Zum Rücktritt von Uwe Jens am letzten Mittwoch hatte der Vorsitzende weder Worte des Bedauerns noch der Freude, auch zu Voigts und Zöpels Ankündigung erfolgte kein Kommentar.

Feierte die Fraktion Schröders Rausschmiß noch als ein Wiedergewinnen eigener Stärke, strafte sie ihren Vorsitzenden eine Woche später ab, als in der Haushaltsdebatte offenbar wurde, daß es mit dieser Stärke nicht weit her ist. Die Fraktion rumort, der Schwachpunkt ist an der Spitze ausgemacht. Jens wirft Scharping im Spiegel mangelndes Durchsetzungsvermögen vor, wichtige Positionen seien mit Traditionalisten besetzt, und Modernisierer unterstütze Scharping auch dann nicht, wenn er ihre Meinung teile.

Die treibenden Kräfte spielen derweil andere. „Wir müssen den Bundeskanzler richtig jagen“, trompetet die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis ins gleiche Horn, das nach der Wahl Scharping geblasen hat. Sie empfiehlt zu diesem Zweck gar, ab und an – Rote-Socken- Kampagne hin, Parteibeschluß her – auf PDS-Kader zurückzugreifen. Und was kann Simonis dafür, daß jede Führungskraft der Partei, die mit passablen Vorschlägen aufwartet, zugleich als Scharping- Nachfolgerin gehandelt wird – in ihrem Fall via Bild am Sonntag von Erwin Huber und Daniel Cohn- Bendit.

Der Vorsitzende ist angezählt, der nächste Treffer abzusehen. Bei den Wahlen in Berlin am 22. Oktober steuert die SPD auf eine Niederlage zu. Die Genossinnen und Genossen in der Hauptstadt machen schon jetzt die Personalquerelen an der Spitze für ihr schlechtes Abschneiden verantwortlich. Tritt es ein, droht Scharping auf dem Bundesparteitag im November, wo er sich als jetziger und künftiger Kanzlerkandidat feiern lassen wollte, ein Scherbengericht. Der Unterbezirk Hannover-Land hat bereits beantragt, der Kanzlerkandidat solle erneut per Urwahl bestimmt werden.

Folgt der Parteitag diesem Begehren, bedeutete das ein Mißtrauensvotum gegen Scharping. Schröder wäre seinem Ziel, den Kanzlerkandidaten erst 1997 – nach der Niedersachsen-Wahl – bestimmen zu lassen, einen Schritt näher. Allerdings könnte er bei einer Urwahl, wie beim letzten Mal, durch eine dritte Kandidatin ausgebootet werden. Dieter Rulff