Die um die Ecke ringen

■ 0,0783 Quadratmeter und die Folgen: Der zehnjährige Kampf eines wackeren Hamburgers gegen einen Lübecker Industrie-Konzern Von Heike Haarhoff

In ländlichen Gebieten – wie den kleinen Dörfern um Quickborn herum – werden Nachbarschaftsfehden ausgetragen, indem die verfeindeten Parteien gegenseitig ihre Gartenzwerge mit Gulasch begießen. Sodann beißen dahergelaufene Hunde nachts die Zwergen-Köpfe ab. Das wissen wir spätestens seit Wolfgang Sieg. Im hansestädtischen Lübeck tragen Grundstücks-Eigentümer ihre Rachefeldzüge nicht mehr eigenhändig aus (das wäre ja nicht weltmännisch-souverän), sondern beauftragen damit Bundesverwaltungsgericht, den Bund der Steuerzahler, den Landesrechnungshof Schleswig-Holstein, verschiedene Lübecker Behörden und sonstige „Schlichtungsstellen“. Leider erfolglos: Mehr als zehn Jahre schon dauert der Nachbarschafts-Streit zwischen dem Hamburger Architekten Manfred Laudenbach und der Lübecker Firma Dräger AG.

Bei den „skandalösen Vorfällen“ in der Moislinger Allee 47a – hier steht das um die Jahrhundertwende erbaute „Gärtnerhäuschen“, historisches Verwaltungsgebäude der Atemgeräte-Firma Dräger – geht es um Null Komma Null sieben acht drei Quadratmeter (in Zahlen: 0,0783). Ein handtuchgroßer Streifen, den das Gebäude unrechtmäßigerweise vom benachbarten Grundstück des Klägers Laudenbach okkupiert. Peinlich-kleinlich findet Manfred Laudenbach diesen Umstand überhaupt nicht. Denn: „Bei dem Haus handelt es sich um einen Schwarzbau“, grämt sich der Kenner des Baurechts noch ein Jahrzehnt nach Wiedererrichtung des eingeschossigen Hauses darüber, daß die Gesetzesmißachtung bis heute nicht geahndet wurde.

Tatsächlich, das bestätigt Joachim Lauenroth, Leiter des Lübecker Bauordnungsamts, ließ die Dräger AG das marode Gärtnerhäuschen 1985 ohne Genehmigung abreißen und in einer Nacht- und Nebelaktion in den alten Grundmaßen wieder aufbauen. „Das war günstiger als eine Totalsanierung, und das Haus ist nicht größer als zuvor“, rechtfertigt Dräger-Sprecher Welf Böttcher die Spontan-Aktion. Doch nach dem gültigen Bebauungsplan war der Neubau in den alten Grenzen gar nicht zulässig, bestätigte zu Laudenbachs Genugtuung selbst das Bundesverwaltungsgericht. Die Stadt Lübeck hingegen, „stets um Kompromisse bemüht“, sah, so Lauenroth, „kein öffentliches Interesse, das Ding wieder abreißen zu lassen“ und genehmigte den Bau im nachhinein. Das habe nichts damit zu tun, daß man sich von der Dräger AG, einem der größten Arbeitgeber Schleswig-Holsteins, bestechen ließe.

Manfred Laudenbachs Rechtsverständnis ist seitdem ins Wanken geraten: Er klagte. Gegen die untätige Stadt, die gefälligst für den Abriß des Hauses sorgen bzw. das Bußgeld eintreiben solle, und gegen die „vorsätzlich rechtswidrig handelnde“ Dräger AG, die unbefugter Nutznießer seines Grundstücks ist, auf dem er selbst gar nicht wohnt. Parallel dazu schrieb er seinen Frust über die Ungerechtigkeit dieser Welt an Parteien, Behörden, Landesrechnungshöfe, Medien. „Fehlen noch der Bundeskanzler und der Papst,“ witzeln Behörden-Mitarbeiter.

Inzwischen ist die Dräger AG bereit, das 0,0783 Quadratmeter große Eckchen abzureißen und – diesmal mit Baugenehmigung – an anderer Stelle anzubauen. Aber auch damit ist Manfred Laudenbach unzufrieden. „Der eigentliche Grund seines Ärgers ist die Tatsache, daß wir nicht bereit sind, sein Grundstück zu dem von ihm geforderten Preis zu kaufen“, vermutet Dräger-Sprecher Böttcher als wahren Grund für den zehnjährigen Nachbarschafts-Krieg.

Gartenzwerge-Köppen ist amüsanter.