Bitte jetzt keinen Chinesen Von Mathias Bröckers

Weil meine Nichte Lilly einmal in einem China-Restaurant laut kreischend unter dem Tisch lag und sich eine Stunde lang weder mit guten Worten noch mit Eis oder Lollies davon abbringen ließ, hat sich in der Familie ein geflügeltes Wort eingebürgert: „Macht jetzt bitte keinen Chinesen“, heißt es seitdem, wenn sich irgendein Tobsuchtsanfall anzubahnen droht. Unlängst bei einem Familienausflug war es mal wieder so weit – Lilly wurde mit der Standardformel abgemahnt, doch das sorgte für Diskussionen mit ihrem zu Besuch weilenden Onkel aus den USA: „Mit einem solchen Spruch wärst du in Berkeley sofort unten durch“, meinte er, „hundert Prozent nicht korrekt gegenüber der chinesischen Minderheit.“ Ich erwiderte, daß man das in diesem Fall doch gut erklären könne und das mit weißer Arroganz gar nichts zu tun habe. Wäre es nicht im China-Lokal passiert, sondern in Willy's Schnellimbiß, würden wir „Mach keinen Willy“ sagen... „Mit solchen Rechtfertigungen würdest du alles nur noch schlimmer machen, einige meiner Bekannten würden dir glatt die Freundschaft kündigen.“ Obwohl sie gar keine Chinesen, sondern weiße Amerikaner sind – ganz schön überkandidelt, aber, so versichert der Gewährsmann, an der Westküste gang und gäbe. Zum Glück war kein kalifornischer Gutmensch dabei, als wenig später unsere Kinder aus der Schule plauderten: Zwar haben sie schon aus Selbstschutzgründen mit „rassistischen“ Sprüchen nichts am Hut, denn über 70 Prozent ihrer Klasse sind ausländische Kinder, doch wie sie über Polen, Türken, Araber oder weiße „Asoziale“ herziehen, hätte unseren Berkeley-Eierkopf schier umgehauen. Daß es einen Unterschied macht, ob solche Sprüche von Angehörigen eines „weißen“ Elite-Gymnasiums oder auf einer „schwarzen“ Multikulti-Schule geklopft werden, hätte ihn wahrscheinlich schon gar nicht mehr interessiert. Von der Wirklichkeit ist derlei „political correctness“, die von einem berechtigten Anliegen zur Manie & Marotte geworden ist, völlig abgehoben. Wegen notorischer Unkorrektheit wären die Kreuzberger Kids aller Nationen durch die Bank untragbar. Auch für den Friedenspreis des Buchhandels kämen sie nicht mehr in Frage – jedenfalls wenn die PC- Posse Schule macht, die derzeit um die Preisträgerin Annemarie Schimmel aufgeführt wird. Weil sie vor ein paar Jahren in einer halb- privaten Runde gesagt hatte, sie würde Salman Rushdie am liebsten im Rhein versenken, soll die Orientalistin für diesen Preis untragbar sein. Dabei geht es nicht um die Inhalte von Schimmels akademischen Arbeiten. Aus Interesse an den Sufis habe ich zufällig einiges davon gelesen und kann nur bestätigen, daß sowohl die Autorin als auch ihre „Helden“, die historischen islamischen Mystiker, über jeden moralischen Zweifel erhaben sind. Es geht einzig darum, daß Frau Schimmel es auf der nach oben offenen PC-Skala an Abscheu-Bekundungen gegenüber aktuellen Menschenrechtsverletzungen islamischer Regierungen hat fehlen lassen. Sie findet Rushdie bescheuert und wünscht ihm die Pest an den Hals. Ja, so was aber auch! Wenn sich die deutschen Korrektheitsblockwarte künftig durchsetzen, wird es keine Probleme bei der Friedenspreisverleihung mehr geben – er kommt ins Endlager, zu Mutter Theresa.