Spezialisten und gelangweilte Konsumenten

■ Der SPD-Vordenker Thomas Meyer möchte die Volksparteien wiederbeleben. Aber vielleicht brauchen wir eigentlich andere Podien politischer Öffentlichkeit

Thomas Meyer, Politikwissenschaftler und Akademieleiter der sozialdemokratischen Friedrich- Ebert-Stiftung, liefert eine Analyse der „Politikverdrossenheit“, von der vor Jahren so viel die Rede war. Er beobachtet in seinem Essay eine dauerhafte „Transformation des Politischen“, wo „das wechselseitige Vertrauen der Bürger in die Politiker und der Politiker in die Bürger schwindet.“

Die Politik wird in einen Zangengriff entpolitisiert: Auf der einen Seite gelangen „die Reichweite politischer Gestaltungsmacht und die der massivsten politischen Problemquellen nicht mehr zur Deckung“ – mag es sich um Fragen der Arbeitslosigkeit, der Wirtschaftsentwicklung, des globalen Zusammenlebens oder um ökologische Probleme handeln. Eine weitgehend noch im nationalen Rahmen agierende Politik steht hilflos übernationalen Problemzusammenhängen gegenüber. Gleichzeitig erlahmt der Impetus demokratischer Politik gerade im Übermaß seines Erfolges: ständig weitere Lebensbereiche werden politisiert. Politik auf dieser Ebene wird Aufgabe von Spezialisten, die den Blick für das Ganze aus den Augen verlieren. Auf der Seite der Bürger verstärkt dies eine Konsumentenmentalität. Die Einsicht geht verloren, daß das Gelingen demokratischer Politik vom Engagement der Bürger untrennbar ist. Die „Krise“ der Repräsentation“ ist perfekt. Im Würgegriff einer Politik als Job betreibenden Politikerklasse und einer frustrierten Bürgermentalität verkommt Politik zum technokratischen Management.

Meyers dichtes und schlüssiges Bild der Krise des Politischen ist die Stärke des Buchs. Seine Therapievorschläge allerdings fallen hinter die Analyse zurück. Dies gilt insbesondere für seine Hoffnung auf eine Wiederbelebung der politischen Parteien. Sie sollen durch eine Öffnung für Nichtmitglieder „ein modernes Äquivalent für den öffentlichen Ort werden, an dem sich die Bürger versammeln, um politische Handlungen zu beschließen“. Aber unsere Parteien folgen notwendig einer Logik des Machterwerbs und der Konkurrenz, die sich kaum am Gemeinwohl orientiert. In Parteien können nie zwanglos Meinungen ausgetauscht und verschiedene Interessen und Perspektiven gleichberechtigt artikuliert werden. Die zunehmende Zahl von Berufspolitikern, für die Politik die einzige Berufsperspektive und damit ein „Lebensmittel“ bildet, verstärkt diese Tendenz noch weiter.

Zwar hält auch Meyer die Professionalisierung der Politik und ihre Ausrichtung an den Medien für unumkehrbar. Vor der Konsequenz, staatliche Politik nicht länger als Zentrum des Politischen zu begreifen, schreckt er jedoch zurück. Was aber spricht eigentlich gegen ein Verständnis von Politik als Job, wo gebündelte Interessen und unabweisbare Sachzwänge möglichst pfiffig zu allgemein tragbaren Kompromissen verschnürt werden, für die Berufspolitiker dann in der Art von Unterhaltungsstars oder von Fernsehpfarrern um Akzeptanz und Vertrauen werben? Die so umrissene „Amerikanisierung“ der Politik ist jedenfalls nicht das von Meyer befürchtete Ende des Politischen. Denn die politische Willensbildung findet längst nicht mehr wesentlich in den Parteien statt. Das Politische hat seinen Ort längst auch im Innern von Wirtschaftsunternehmen und -verbänden, im Bildungs- und im Justizsystem und insbesondere in den Debatten medienvermittelter Öffentlichkeit. Entscheidungen beschränken sich nicht auf die Exekution von Sachzwängen, denn angesichts der Komplexität der Problemlagen stehen immer Alternativen zur Diskussion: Große industrielle Investitionsentscheidungen werden nicht allein durch das ökonomische Kalkül bestimmt, sondern auch im Hinblick auf das öffentliche Unternehmensimage gefällt. Was im Gesundheitswesen und in der Medizintechnikentwicklung geschieht, wird nicht allein durch Angebot und Nachfrage geregelt, sondern ist zunehmend auch durch öffentliche Debatten und die Arbeit von Ethikkommissionen vorgeprägt.

Die gesetzgeberischen Möglichkeiten der Politik sind für diese Fragestellungen oft viel zu grob und können meist nur ex post angewendet werden. Eine lebendige Demokratie mit Zukunft braucht neuartige, nicht von der offiziellen Politik dominierte Podien, wo die Auseinandersetzung um den zukünftigen Weg innerhalb und zwischen den Sphären der Gesellschaft erfolgen kann. Harry Kunz

Thomas Meyer: „Die Transformation des Politischen“. Suhrkamp Verlag, 276 Seiten, 19,80 DM