Die neue, klare Stimme der Palästinenser

Sie veränderte das Image der PLO: Hanan Ashrawi, Sprecherin der palästinensischen Friedensdelegation, die für ihr Volk die Teilautonomie aushandelte. Jetzt erscheint die Autobiographie der Reisenden in Sachen Frieden  ■ Von Jürgen Berger

Oktober 1991. Hanan Ashrawi sitzt in Washington dem damaligen amerikanischen Außenminister, James Baker, gegenüber und ist in einer merkwürdigen Situation. Einerseits führt sie Geheimverhandlungen und ist maßgeblich daran beteiligt, den Nahost-Friedensprozeß überhaupt zu ermöglichen. Andererseits ist sie eine „illegale“ Person, da Israel zu diesem Zeitpunkt noch keine Gesprächspartner auf palästinensischer Seite akzeptiert. Irgendwann muß sie wieder nach Ramallah, ihre Heimatstadt im Westjordanland, zurückkehren. Ob sie dort ankommt oder in einem israelischen Gefängnis landet, liegt im Ermessen von Israels Ministerpräsident Jitzhak Rabin. Eine besondere Ironie dieser Situation wird im Rückblick sichtbar: Ashrawis Verhandlungsgeschick führt mit dazu, daß es zwei Jahre später zum historischen Handschlag zwischen Rabin und Jassir Arafat kommen wird.

Wie sensibel ihre Mission war, wußten in diesen Tagen nur Nahost-Insider. Sie selbst hat ein Buch über ihren politischen Weg geschrieben, das in diesen Tagen unter dem Titel „Ich bin in Palästina geboren“ bei uns erscheint. Man erfährt aus allererster Hand Hintergründe aus der Frühphase der Verhandlungen. Hanan Ashrawi ist eine der wichtigsten politischen Persönlichkeiten im Nahen Osten und betont, es sei kein Rückzug aus der politischen Arena, wenn sie jetzt beginnt, Bücher zu schreiben. Im Gegenteil. Viele, die in die Intifada und die Friedensverhandlungen involviert gewesen seien, hätten sie gedrängt: „Wenn du es nicht schreibst, wird niemand die Entwicklung aus Sicht der Palästinenser darstellen.“ Für sie selbst ist ihr erstes Buch auch ein Dokument jenes offensiven Verhaltens, das Palästinensern aufgrund der langen Okkupationsjahre häufig verlorengegangen ist.

Zu diesem offensiven Verhalten gehört auch, daß sie nach Bildung der ersten palästinensischen Autonomieregierung nicht etwa einen hochrangigen Posten unter Arafat annahm, sondern in Ost-Jerusalem eine unabhängige Kommission für die Menschenrechte von Palästinensern gründete. Das funktioniere inzwischen auch ohne sie, sagt sie, also habe sie mehr Zeit für einen anderen ihrer vielen Köpfe. Sie meint die Schriftstellerin Hanan Ashrawi, die gerade dabei ist, ihren ersten Roman zu schreiben und fest daran glaubt, bald in einem freien Land zu leben. Spätestens im Jahr 2000, meinte sie vor nicht allzulanger Zeit. Sicher ist sie sich in diesem Punkt allerdings nicht mehr.

Trotzdem. Die Zweckoptimistin arbeitet unermüdlich, besucht man sie in ihrem Büro, geht sie zwischen den Schreibtischen hin und her, erläutert, daß es ein Vertragsbruch sei, wenn Israel die ersten Wahlen in den autonomen Gebieten verzögere. Dann erledigt sie Telefongespräche, scheint in Gedanken schon ihren nächsten Gesprächstermin vorzubereiten und ist dennoch völlig präsent. Ihr Büro ist im Zwischengeschoß eines Hotels, durch dessen Fenster eine der Geschäftsstraßen Ost-Jerusalems zu sehen ist. Hier irgendwo soll künftig auch der Regierungssitz Palästinas sein.

Der Sitz ihrer Menschenrechtsorganisation scheint mit Bedacht gewählt. Ein paar Straßen weiter verläuft die unsichtbare Demarkationslinie zwischem jüdischem und arabischem Teil der Stadt. Seht her, wir haben ein demokratisches Kontrollorgan, das ihr nicht habt, lautet das Signal in Richtung Israel. Und auch innerhalb der arabischen Welt wirkt es wie ein Bollwerk gegen fundamentalistische Dogmatiker. Ein junger männlicher Mitarbeiter serviert den Kaffee, was in der islamischen Welt zumindest genauso anstößig ist wie der Umstand, daß Ashrawis Ehemann den häuslichen Part ihrer Lebensgenmeinschaft übernommen hat. Die Folge: Morddrohungen. Ob sie aus Reihen des Hamas- Terrorflügels kommen, weiß niemand, von Leibwächtern will Hanan Ashrawi nichts wissen.

Eine kurze Reise mit Agentenbegleitung

Daß es ihr an Selbstsicherheit mangelt, kann man ihr auf keinen Fall nachsagen. Es darf also nicht verwundern, daß sie deutlich macht, welche Verhandlungserfolge in den Friedensgesprächen auf sie zurückzuführen sind. Es scheint notwendig zu sein, denn selbst im arabischen Lager wird das Vorurteil kolportiert, sie sei nur wegen ihrer Medienwirksamkeit und ihres exzellenten Englisch in diese wichtige Position gerückt.

In den konkreten Verhandlungen hatte sie damit zu kämpfen, daß der amerikanische Außenminister unter starkem israelischen Druck stand. Eine Episode, die im nachhinein absurd anmutet: Im Spätherbst 91 mußte sie zur PLO- Exilregierung nach Tunis fliegen, um mit Arafat die weitere Strategie zu besprechen und die verschiedenen palästinensischen Lager von ihrer Mission zu überzeugen. Da Israel zu diesem Zeitpunkt noch jeglichen Kontakt mit Arafat verboten hatte, wurde ihr Flug über London und Paris zum filmreifen Akt mit einem Troß Journalisten und Mossad-Agenten im Schlepptau, die sie loswerden mußte. Natürlich wußte man in Israel sehr schnell von ihrem Kurztrip, als sie wieder in London eintraf, hatte Shamir in der israelischen Presse bereits verkündet, Hanan Ashrawi müsse im Falle ihrer Rückkehr nach Jerusalem mit einer Verhaftung rechnen. Und das, obwohl einige Tage später das nächste Treffen in Washington anberaumt war. Baker ließ ihr in dieser verzwickten Situation mitteilen, sie solle doch einfach bis zum Washington- Treffen in London bleiben.

Ashrawi wollte davon natürlich nichts wissen und ließ Baker mitteilen, es gehe nicht an, daß der Schwanz (sprich Shamir) mit dem Hund (sprich Baker) wackle. Einen Monat später war sie die Sprecherin der palästinensischen Delegation auf der ersten Nahost-Friedenskonferenz in Madrid.

Wenn die Israelis sie nur endlich einsperrten

Ein Datum, das auch den Anfang ihrer Medienkarriere markiert. Wenn man heute mit ihr spricht, muß man damit rechnen, daß nebenan bereits ein Fernsehteam wartet. Hanan Ashrawi feiert in diesen Tagen ihren 51. Geburtstag. „Ich bin in Palästina geboren“ ist alleine schon von daher keine klassische Autobiographie mit Blick auf ein „gelebtes Leben“. Eine Besonderheit ihrer Reflexionen über sich als Reisende in Sachen Frieden: Sie betont häufig ihr inneres Band zur Familie, zu Ehemann Emile und den beiden Töchter Amal und Zeina. Und man hat den Eindruck, sie stelle sich die Frage, was sie ihrer Familie eigentlich zugemutet habe und ob der Preis nicht doch zu hoch war.

Sie wird in solchen Passagen sehr persönlich und kommt auch auf ihre Mutter zu sprechen, die betete, die Israelis sollten ihre Tochter doch endlich ins Gefängnis stecken, weil sie dort wenigstens nicht in Todesgefahr schwebe. Solche Passagen wirken auf den ersten Blick etwas pathetisch, Hanan Ashrawi fügt diese Einblicke in die Innenwelt ihrer Familie allerdings bewußt ein. Die eigene Familie steht dafür, welches Leben Palästinenser seit Jahrzehnten unter israelischer Okkupation führen müssen. Ein Leben, das sie schon sehr früh für einen autonomen Palästinenserstaat eintreten ließ, womit sie sich unter anderem den Verdacht einhandelte, sie sei eine PLO-Aktivistin. Und das, obwohl sie immer auf ihre parteipolitische Unabhängigkeit pochte.

Mit der Intifada kam der Wendepunkt

In die Rolle der späteren Friedensdiplomatin wuchs sie schon während ihres Studiums an der Beiruter American University und der Virginia State University in Amerika. In dieser Zeit führte sie ein für intellektuelle Palästinenser typisches Exilleben und konnte lange Jahre nicht zurück ins Elternhaus. Als sie wieder ins Westjordanland zurückdurfte, gehörten Ausgangssperren, Tränengas-Prophylaxe und die Organisation von Nachbarschaftshilfe zu ihrem Alltag. Dann kam der Wendepunkt, die Intifada, während der die Literaturprofessorin und Rektorin der Birzeit Universität israelischen Soldaten den Eintritt in die Universität verwehrte. „Ihr Araber seid Tiere, die man schlachten sollte“, schrie ein israelischer Soldat ihr damals ins Gesicht, den Zeigefinger am Abzug. So jedenfalls beschreibt sie es im Buch.

Arafat war in all diesen Jahren die graue Eminenz im Hintergrund. Heute könnte man ihr Verhältnis zu ihm als distanziert loyal bezeichnen. Zu offener Kritik läßt sie sich kaum hinreißen, was unter anderem auch damit zu tun hat, daß ihre Töchter schon zu Zeiten einen regen Briefwechsel mit dem „Onkel aus Tunis“ führten, als dieser noch als Fliegender Holländer mal hier mal dort vor Fernsehkameras auftauchte. Ein Satz entschlüpft ihr dennoch. Demokratie sei keine One-man-Show, sagt sie und bleibt sich treu in ihrer Kritik an Arafats Politikstil.

Die Diplomatin kann es nicht lassen, hin und wieder alle Diplomatie fahren zu lassen.

Hanan Ashrawi: „Ich bin in Palästina geboren“. Aus dem Englischen von Michael Sternheimer. Siedler Verlag 1995. 256 Seiten, geb., 39.80 DM