■ Hongkong wählt, was China mißfällt: Eine unberechenbare Eroberung
In weniger als zwei Jahren gehört die britische Kolonie Hongkong wieder ganz zu China. Wenn die chinesische Regierung hält, was sie angedroht hat, wird sie am 1. Juli 1997 um 0 Uhr nicht nur ihre Flagge überall dort hissen, wo sie weithin sichtbar ist: vor allem wird sie alle demokratisch gewählten Gremien außer Kraft setzen. Dazu gehört an erster Stelle das Parlament, Legislativrat genannt. Trotz aller Warnungen aus Peking hat der britische Gouverneur der Kolonie, Chris Patten, kurz vor dem Ende der Herrschaft seines Landes noch eine gewisse Demokratisierung des Hongkonger Wahlsystems durchgesetzt. Ein großer Teil der Bevölkerung durfte gestern erstmals seine Stimme abgeben.
Es gehört zu den Merkwürdigkeiten der Hongkonger Politik, daß die chinesische Regierung die Bevölkerung nicht etwa zum Boykott dieses Parlaments aufgerufen hat, daß sie doch abschaffen will. Nein, sie mobilisierte den Teil der Hongkonger Geschäftswelt, der sein wirtschaftliches Überleben dadurch sichern will, daß er sich mit Peking gut stellt. In allen großen Zeitungen des Sechs-Millionen-Territoriums ließ sie mitteilen, daß Hongkong in der Phase des Übergangs nur stabil bleibe, wenn seine Abgeordneten wissen, „wie man mit China redet“. Solche Leute seien zu wählen.
Spätestens seit dem Tiananmen-Massaker vor sechs Jahren, das verstärkte Aktivitäten demokratischer Gruppen in Hongkong zur Folge hatte, kommen solche Warnungen regelmäßig aus Peking. Anfang der neunziger Jahre führten diese Drohungen noch zu großer Nervosität und Unsicherheit. Bei allen bisherigen Wahlen aber zeigte sich, daß sie den erwünschten Erfolg verfehlten: Zwar gingen kaum mehr als ein Drittel der Wahlberechtigten zur Abstimmung, doch die von Peking favorisierten KandidatInnen blieben weit abgeschlagen zurück. So auch gestern.
Die bekanntesten China-KritikerInnen aber konnten ihre Sitze mit guter Mehrheit sichern. Das ist für China sehr, sehr ungünstig. In Hongkong gibt es viele Leute, die sich nicht einschüchtern lassen. Pekinger Politiker können auch keineswegs sicher sein, daß die Zweidrittelmehrheit der NichtwählerInnen künftig stumm bleibt. Hongkong bleibt eine für China unberechenbare Eroberung. Jutta Lietsch
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