Grüner Himmel in Schweden

Katastrophales Ergebnis für die Sozialdemokraten bei den Europa-Wahlen / Grüne und EU-GegnerInnen feiern Sieg / Neue EU-Volksabstimmung 1996?  ■ Aus Stockholm Reinhard Wolff

Bis zum Jahre 1911 müssen Schwedens Sozialdemokraten zurückgehen, um ein Wahlergebnis zu finden, das mit dem vom vergangenen Sonntag vergleichbar ist. Mit 28,1 Prozent der Stimmen ist die Partei auf das Niveau von damals, als es noch kein allgemeines Wahlrecht gab, zurückgefallen. Noch 0,4 Prozent schlechter als 1911. Und das, nachdem man in den letzten acht Jahrzehnten niemals unter 34 Prozent aus irgendeiner Wahl hervorgegangen war. Gegenüber den letztjährigen Parlamentswahlen wurde der WählerInnenanteil der Regierungspartei nahezu halbiert.

Sind die Sozialdemokraten die klaren Verlierer dieser Protestwahl, können sich den Siegerkranz zwei Parteien teilen: Linkspartei und Grüne. Die grüne „Miljöpartiet“ konnte ihr letztjähriges Ergebnis mit 17,2 Prozent mehr als verdreifachen. In der schwedischen Parteienlandschaft ist Grün nun nicht mehr sechst-, sondern drittkräftigste Farbe. Mehr als verdoppeln konnte auch die exkommunistische Linkspartei ihren Stimmenanteil. Beide Parteien, die eine klare EU-kritische Politik vertreten, werden in den nächsten Jahren nicht mehr nur zusammen zwei, sondern sieben der 22 schwedischen Abgeordneten im EU- Parlament stellen. Zusammen mit den EU-KritikerInnen, die über die Listen der Sozialdemokraten und des bäuerlichen Zentrums gewählt wurden, wird nunmehr die Mehrheit der schwedischen Parlamentarier prinzipiell negativ zur EU eingestellt sein – ein Unikum unter den EU-Mitgliedsländern. Hier waren traditionell die DänInnen führend, mit derzeit vier EU- GegnerInnen in ihrer Gruppe von 16 ParlamentarierInnen. Die von den dänischen EU-KritikerInnen in Straßburg gegründete, bislang kaum sichtbar gewordene überparteiliche „David-Gruppe“ darf nun auf kräftige neue Unterstützung rechnen.

Aber nicht nur das Ergebnis sendet nach acht Monaten EU- Mitgliedschaft ein klares Zeichen des Mißmuts Richtung Brüssel – noch deutlicher wird die Unzufriedenheit an der Wahlbeteiligung sichtbar: Statt der allgemein üblichen 80 Prozent gingen gerade 41,3 Prozent zu den Urnen, ein Ergebnis weit unter dem gesamteuropäischen Durchschnitt von 57 Prozent. Vor allem traditionell sozialdemokratische WählerInnen blieben der Wahl fern, weshalb in den drei Großstädten (Stockholm, Göteborg und Malmö) erstmals die Konservativen die Sozialdemokraten überholten. Im traditionell „roten“ und besonders EU-kritischen Nordschweden konnten Grüne und Linkspartei stellenweise zusammen 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen, und die Sozialdemokraten schrumpften auf dort nie erlebte 20 Prozent.

Die Mißtrauenserklärung der SchwedInnen stärkt nicht nur das EU-interne Bremserpotential. Sie bedeutet möglicherweise auch, daß das Land sich schon bald wieder aus der EU verabschieden könnte. Schon fordern EU-KritikerInnen jeglicher Couleur lautstark, 1996 eine neue Volksabstimmung über die weitere EU-Mitgliedschaft Schwedens abzuhalten. Eine EU auf verschärftem Integrationskurs, mit gemeinsamer Währung und einer Atombombenoption ist alles andere als das, was die Mehrheit der SchwedInnen wollte, als sie im vergangenen Jahr für den EU-Beitritt stimmten.Kommentar Seite 10