Hongkong verbreitet den Virus der Demokratie

■ Sieg der Demokraten bei den letzten freien Direktwahlen in Hongkong / Wirkung gering

Peking (taz) – Bei den voraussichtlich letzten Direktwahlen in Hongkong am Sonntag haben die antikommunistischen chinesischen Kandidaten einen eindeutigen Sieg errungen. Sie erhielten 19 der zu vergebenden 20 Mandate. Doch zur Wahl standen nur ein Drittel der Parlamentssitze. Die übrigen zwei Drittel rekrutieren sich überwiegend aus den Berufsverbänden der mächtigen Hongkonger Wirtschaft. Die haben sich schon mit den Machthabern in der Volksrepublik und den zukünftigen Besitzern Hongkongs arrangiert. Das Parlament ist also weiterhin pro Peking orientiert. Die Wahlsieger nehmen praktisch auf den Oppositionsbänken Platz.

Auch als Opposition werden sie nicht viel erreichen. Ihre Zeit ist 1997 zu Ende, wenn Hongkong an China fällt. Das plötzliche Interesse der britischen Verwaltung an der Demokratisierung ist denn auch eher taktischer Natur. Chris Patten, der von den Briten entsandte Gouverneur, der die Übergabe von Hongkong an die Volksrepublik China 1997 abwickeln soll, hat zwar 1991 die ersten Parlamentswahlen eingeführt. Ein Held der Demokratie aber ist er nicht. Sein politisches Ziel ist nicht, den Bedürfnissen „einer popularistischeren Gesellschaft Rechnung zu tragen“, wie er es formuliert. Er möchte vielmehr der Volksrepublik China Steine in den Weg legen. An Demokratisierung haben die Engländer in den 150 Jahren, in denen sie Hongkong zum wirtschaftlichen Dreh- und Angelpunkt in Südostasien haben werden lassen, nie gedacht. Ihre politische Linie hieß bisher ebenso, wie die der Chinesen wohl auch in Zukunft lauten wird: alle Macht dem Busineß.

Daß es im Grunde nicht um ihre Belange geht, haben denn auch 65 Prozent der Wahlberechtigten durchschaut und sind am Sonntag nicht zur Urne gegangen. „Die Demokraten wollen sich nur in ein günstiges Licht stellen“, sagt Wiliam Wong, Angstellter eines Elektronik Im- und Exports. „Unsere Probleme lösen sie nicht.“ Die Probleme sind laut Umfragen Kriminalität, Mietpreisexplosion, Korruption und die Ungewißheit, was nach 1997 passiert.

Daß ihnen die Hände gebunden sind, wissen auch die beiden prominentesten Kämpferinnen für mehr Demokratie in Hongkong: Die 39jährige Rohstoffhändlerin Christine Loh und die 43jährige Emily Lau, die lange Journalistin bei der renommierten Far Eastern Economic Review war. Als unabhängige Kandidatinnen angetreten, schnitten sie sehr erfolgreich ab. Sie gehören einer kleinen Gruppe an, die sich nicht damit abfinden will, von der einen politischen Unmündigkeit in die nächste überführt zu werden. Wie viele Hongkonger haben sie schon seit Jahren das Recht, Hongkong mit einem britischen oder kanadischen Paß rechtzeitig und ohne Schwierigkeiten zu verlassen. Aber Loh und Lau haben auch den Traum, daß ein demokratischer Impuls sich in Hongkong wie ein Computervirus festsetzt und schließlich mit Verzögerung China befallen könnte.

Diese Vorstellung geht als Angst auch in Peking um. China hat sofort angekündigt, 1997 die Wahl zu annullieren. Erstaunlich, daß sich Vertreter der Pekinger Linie überhaupt an den Wahlen beteiligt haben. Ihr Führer Jasper Tsang hat eine vernichtende Niederlage einstecken müssen, obwohl im Vorfeld sogar Listen mit den „richtigen“ Kandidaten an Mitarbeiter von chinesischen Firmen mit Sitz in Hongkong verteilt haben. Der Verlierer strahlte trotzdem und kündigte an, daß er 1997 wiederkommen werde – unter „besseren Bedingungen“. Mathias Schildhauer