"Die SPD macht uns große Sorge"

■ Die Sprecherin der Bündnisgrünen, Krista Sager, fürchtet angesichts des "Bild des Jammers" um den politischen Partner. "Wie man eine vernünftige Streitkultur entwickelt, könnte die SPD von uns abgucken."

taz: Frau Sager, die Grünen können nicht ohne die SPD regieren, die SPD kann zur Zeit aber noch nicht einmal opponieren.

Sager: Uns macht der Zustand der SPD schon große Sorge. Wir haben heute bereits in kleinem Kreis diskutiert, ob die SPD demnächst eine Unternehmensberatung einschalten muß, um geeignetes Führungspersonal für ihr Präsidium zu finden. Es ist ein Bild des Jammers, das sich uns da bietet. Die politische Konsequenz, die wir daraus ziehen, kann nur lauten, daß wir uns auf unsere eigenen Kräfte konzentrieren und Abstand nehmen von Bezügen zu gemeinsamen rot-grünen Projekten.

Die Grünen haben aber den Regierungswechsel auf ihre Fahnen geschrieben. Wenn es so weitergeht, dürfte der auch 1998 noch nicht möglich sein.

In der Tat können wir unsere Schulter gar nicht so breit machen, wie es erforderlich wäre, um die Lücke zu schließen, die die SPD aufmacht.

Für die Grünen eigentlich ein Grund zur Freude. Scharping wendet sich den Traditionalisten in seiner Partei zu und vernachlässigt die Modernisierer. Da tut sich doch ein großes Potential auf.

Solche Potentiale überlassen uns zur Zeit alle Parteien. Die CDU im Bereich des Asylrechts, die FDP bei den Bürgerrechten, die SPD auf dem Feld der Modernisierung, zum Beispiel bei der Steuerreform. Denkt man allerdings weiter und stellt sich die Frage, wie man von einer Konzept- zu einer Gestaltungspartei wird, stellt man schell fest, daß wir das nicht aus eigener Kraft stemmen können.

Wieviel Zeit geben Sie Scharping noch?

Ich würde keine Prognose stellen. Das Problem der SPD ist doch, wenn es keine echte Alternative gibt, dann herrscht die Tendenz vor, selbst unhaltbare Situationen auszusitzen.

Wie lautet denn die echte Alternative?

Als idealer Kanzlerkandidat fiele mir zur Zeit nur Joschka Fischer ein. Das erscheint mir allerdings nicht ganz realistisch.

Und wer wäre die zweite Wahl?

Die sehe ich nicht so recht. Schröder hat sich durch sein Agieren arg beschädigt, und daß die SPD reif für eine Frau an der Spitze ist, kann ich mir nicht vorstellen.

Aber sowohl Schröder als auch Simonis wären für die Grünen tragfähige Partner.

Inzwischen geht es für uns schon nicht mehr um tragfähige Partner, sondern darum, daß wir überhaupt welche haben.

Wer bei der SPD mal eine verrückte Idee äußert, der bekommt sofort eins draufgenagelt, sagt Hans-Ulrich Klose. Die Klage erinnert an den Zustand der Grünen in den 80er Jahren.

Das hat sich bei den Grünen zum Glück geändert.

Was hat sich denn da geändert? Die SPD könnte sich eine Menge von uns abschauen. Zum einen, wie man eine vernünftige Streitkultur entwickelt. Zum anderen, wie man inhaltliche Differenzen auch als Chance begreift, sie in die Gesellschaft hineinträgt und eine alle betreffende Debatte öffentlich führt, ohne dabei handlungsunfähig zu werden. Interview: Dieter Rulff