Gysi beklagt „Doppelstrategie“ des Westens

■ PDS zieht kritische Bilanz aus fünf Jahren Einheit. Soziale Themen werden der Schwerpunkt der Partei, die sich um neue Wähler aus dem Westen bemüht

Berlin (taz) –Die PDS hat fünf Jahre nach der Wiedervereinigung eine überwiegend kritische Bilanz aus der Entwicklung in Deutschland gezogen. Der Vorsitzende der PDS-Bundestagsgruppe, Gregor Gysi, warf der Bundesregierung bei der Präsentation einer Erklärung zum 5. Jahrestag der Vereinigung gestern in Berlin eine „Doppelstrategie“ gegenüber den neuen Bundesländern vor. Bonn habe zwar den Osten mit dem Westen gleichgeschaltet, sorge zugleich jedoch dafür, daß die neuen Länder gegenüber der alten Bundesrepublik wirtschaftlich nicht konkurrenzfähig würden.

Allerdings hätten sich in vielen Bereichen die Lebensbedingungen der Menschen in der früheren DDR verbessert, räumte Gysi ein. So spürten die Bürger im Osten heute, wie vorteilhaft es sei, nicht unter „diktatorischen Strukturen“ zu leben.

Die Partei selbst hat die Zukunft fest im Visier. Um auch bei den Wahlen 1998 als „bundesweite sozialistische Partei“ in den Bundestag zu ziehen, will sich die PDS planmäßig auf politische Schwerpunkte konzentrieren. Die Strategen in der Berliner Parteizentrale wissen, daß es ihrer Partei kaum gelingen wird, noch einmal mit drei Direktmandaten die Fünfprozenthürde zu umgehen. Gelingt es der Partei nicht, neue Wähler auch im Westen zu gewinnen, wird sie bundespolitisch keine Rolle mehr spielen. Um die Zahl der Mitglieder und Wähler der PDS zu vergrößern, beschloß der Bundesvorstand der PDS in der letzten Woche einen Aufgabenplan für die kommenden zweieinhalb Jahre. „Sozial, demokratisch und antimilitaristisch“ will die PDS sein und sich an diesen Themen in der Öffentlichkeit profilieren.

Die Verhältnisse ein Jahr nach den Bundestagswahlen malt der PDS-Vorstand in den düsteren Farben. Die „sozialen und ökologischen Probleme spitzen sich zu“, während die Linke in der Defensive sei und größere gesellschaftliche Gegenbewegungen nicht erkennbar seien. Weil man festgestellt hat, daß die Deutschen der PDS weit über das bisherige Wählerklientel hinaus vor allem „soziale Kompetenz“ bescheinigen, sollen in den kommenden Jahren soziale Themen im Mittelpunkt der Parteiarbeit stehen. Mit drei Kampagnen „gegen Massenarbeitslosigkeit“, „gegen internationale Bundeswehreinsätze“ und „für unmittelbare Demokratie“ will die PDS darüber hinaus ihre Basis mobilisieren und „ihre sozialistische Identität weiterentwickeln“.

Eine neue innerparteiliche Debatte um mögliche Regierungsbeteiligungen in den ostdeutschen Bundesländern möchte die PDS derzeit offenbar vermeiden. Nur vorsichtig sind die Signale gegenüber der SPD. Die SPD verhindere durch ihren fehlenden Reform- und Zukunftswillen und durch ihren „Verdrängungskampf" gegenüber der PDS, daß mögliche Reformmehrheiten in den neuen Bundesländern zum Tragen kommen. Christoph Seils