„Zwei Dollar für die Gesundheit“

■ WHO-Expertin Petra Graf über die Bekämpfung der Epidemie: Im armen Tansania hat die Tuberkulose-Kampagne Modellcharakter

taz: Warum gelingt es nicht, die eigentlich leicht behandelbare Tuberkulose in den Griff zu kriegen?

Petra Graf: Das ist eine lange und traurige Geschichte. Wir haben das Instrumentarium, und es ist nicht mal teuer. Die Kosten für die Medikamente bewegen sich um die 25 Dollar für eine komplette Behandlung. Trotzdem nehmen die Krankenzahlen weiter zu. Zu den wichtigsten Ursachen gehören schlecht konzipierte Tbc- Programme. Und wenn der Rotstift angesetzt wird, müssen als erstes Sozial- und Gesundheitsprogramme dran glauben. Infektionskrankheiten sind ohnehin das Stiefkind. 1993 sind von der weltweiten Entwicklungshilfe ganze 1,5 Prozent für Infektionskrankheiten ausgegeben worden.

Stimmt es, daß bei keiner anderen Krankheit mit so wenig Geld Erfolge erzielbar wären?

Für geheilte Kranke rechnet man mit zwei Dollar für jedes gesunde Lebensjahr. Die Weltbank hat die Tbc-Abwehr als eine der kostengünstigsten Gesundheits-interventionen definiert.

Seit zehn Jahren sind Sie in Tansania engagiert. Sie waren acht Jahre vor Ort. Was waren die größten Hindernisse?

Ich würde lieber über die Erfolge berichten. Tansania hat Modellcharakter. Das Land steht zwar mit einem Bruttosozialprodukt von etwa 160 US-Dollar pro Kopf ganz unten. Trotzdem ist es gelungen, eine gute Tuberkulosekontrolle auf die Beine zu stellen, weil die Regierung mitzog. Was war das Erfolgsrezept?

Die Motivation der Mitarbeiter und die Supervision durch kompetente Fachleute von außen. Als drittes brauchte das Land natürlich Geld von Geberländern. Wir hatten Heilungsraten von 80 Prozent. Die tansanische Regierung hat die Strategie akzeptiert: nicht wie ein Spürhund nach weiteren TB-Fällen suchen, sondern die Kranken kompetent therapieren, die schon da sind. Behandlung ist wichtiger als Fallsuche.

Der afrikanische Kontinent wird wie kein anderer von der Tuberkulose heimgesucht. Wo liegen die Schwierigkeiten der Abwehr?

Die schlechte Bezahlung der Gesundheitsarbeiter ist ein großes Problem. Dann haben Sie die üblichen Probleme: Wassermangel, Stromausfall, Telefone, die nie funktionieren, Post, die nicht ankommt. Das schafft Kommunikationsprobleme, wenn Sie ein Tbc- Programm mit 1.000 Mitarbeitern landesweit organisieren.

Die WHO kritisiert auch das Therapiechaos in der Praxis.

In Tansania gibt es kaum Privatpraxen, deshalb herrscht dort auch kein Chaos. In anderen Ländern behandeln Ärzte die Tuberkulose nach eigenem Gusto, oft sind die Medikamente an kleinen Kiosken frei zu kaufen. Häufig wird der Patient ohne exakte Diagnose behandelt. Das Schlimmste, was ein Arzt machen kann, ist die Verordnung eines einzelnen Medikaments. Die Kombinationstherapie ist heute ein „Muß“. Wir empfehlen vier verschiedene Tabletten...

...die gleichzeitig über einen langen Zeitraum genommen werden müssen.

Richtig. Meistens fühlen sich die Patienten aber schon nach einer Behandlung von drei bis sechs Wochen besser. Wenn sie nicht aufgeklärt werden, sehen sie keinen Anlaß, Geld auszugeben und die Pillen weiter zu schlucken. Das ist das große Problem. Der Patient geht nach Hause und hat noch Bakterien in seinem Körper, die sich wieder vermehren. Im zweiten Anlauf wird die Behandlung aber sehr viel schwieriger. Dann können sich die gefürchteten resistenten Stämme bilden. Die Resistenzen sind ein von Menschen gemachtes Desaster, das durch unsachgemäße Behandlung entstanden ist.

Obwohl die Tuberkulose jährlich drei Millionen Tote fordert, findet sie kaum Aufmerksamkeit.

Wenn Sie wissen, daß die Tuberkulose der größte Killer ist, dann ist das schon ein Erfolg unserer Kampagne. Ich sehe es nicht so negativ. Die WHO hat seit 1989 ihre Kampagne vitalisiert, und allmählich wächst in vielen Ländern das Bewußtsein. Der Wettlauf hat begonnen.