Wege durchs Nirvana

■ Bauplatz Bürgerweide: Neue Großbauten kündigen sich an, aber von verbindlicher Planung keine Spur

An den Verlust von Bedeutungen, welche die Namen alter Straßen und Plätze einmal hatten, haben wir Stadtmenschen uns längst gewöhnt. Aber kaum ein Bremer Platz verdient seinen Namen heute so wenig wie die „Bürgerweide“. Keine Parklandschaft, wie der Hergereiste vermeinen könnte, sondern Steinwüste, wohin das Auge blickt, genutzt als Park- und Rummelplatz. Groß ist die Aufmerksamkeit, mit der jede neue Baubewegung in dieser stadtgestalterischen Ödnis beobachtet wird. Kein Neubau, der nicht mit liebe- bis hämevollen Kosenamen bedacht wird, ob „Kartoffelkiste“ oder „Bonbonniere“. Den Blick auf den ganzen Platz aber meidet man tunlichst. Das hat Methode: Eine übergreifende Planung nahm der Senat nie ernsthaft in Angriff. So stellt sich die Bürgerweide als gesichtsloser, unförmiger Ort dar, gerahmt von Großbauten, die zueinander in keiner rechten Beziehung stehen. Jetzt kündigen sich neue Großprojekte an – ein Nordausgang am Bahnhof, ein Parkhaus, der „Klangpfad“; in weiter Ferne liegen noch die neuen Messehallen und das Konzerthaus „Musicon“. Doch die alten Fehler werden fortgeschrieben. Der Senat ziert sich weiter, einen verbindlichen Rahmen für die Träume der Investoren und Architekten zu ziehen, Zusammenhänge zwischen den Solitärbauten bleiben Glückssache. Dabei gäbe es genügend Ideen, wie der monströse Platz zu fassen wäre – und sich sogar seinen alten Namen wieder verdienen könnte.

Ohrfeigen für die Stadthalle

Den Ist-Zustand dieses stadtbildnerischen Torsos zu beschreiben, gleicht dem Abzählen von Jahresringen an einem Baumstumpf. Jedes neue Jahrzehnt hat hier seine Spuren hinterlassen. Ein Foto von 1966 zeigt die damals neue Stadthalle noch von Licht und Luft umgeben: Feierlich ragen die Betonstreben gegen den Nachthimmel; das Mosaik der Treppenkonstruktionen scheint durch die gläserne Fassade. Das Bild aus einer Broschüre des Bausenators bildet den ganzen Stolz der Bremer auf ihren Repräsentationsbau ab. Die Leere rings um die Halle aber spricht bereits von dem, was die Bremer nicht zustande brachten: Rainers Bau war eigentlich Teil eines städtebaulichen Ideenwettbewerbs für die Bürgerweide. Dabei sollte u.a. die Deetjen-Allee – als Allee ohnedies nicht mehr zu erkennen – zurückgebaut werden. Stattdessen war ein neuer Grünzug erdacht, der die Bürgerweide umsäumt hätte. Die Pläne verkamen zu Makulatur; gebaut wurde nur die Halle.

Gebaut wurde freilich noch so einiges – ohne irgendeine längerfristige Planung natürlich. So bekam die Stadthalle in den Folgejahren ein Paar Ohrfeigen versetzt, links und rechts rückten Neu- und Anbauten dem Baukörper zu Leibe. Ein neues Eingangstor prangt nun an der Ostflanke der Halle. Hinter der potemkischen Alufassade entfaltet sich ein Nichts an neudeutscher Passagenbaukunst. Ein Strebewerk in türkis spendet die modische Note; die obligatorische gläserne Wandelhalle führt ins Nirvana der Stadthallen-Rückseite.

Auch im Westen hat die Stadthalle aufdringliche Nachbarn bekommen. 1993 eröffnete nach 33 Monaten Bauzeit das CCB („Congreß Centrum Bremen“). Auch dies ein Repräsentationsbau seiner Zeit. Aber wo die alte Stadthalle eine zeitlose Modernität und Funktionalität ausstrahlt, tritt hier allein der Hang zur Großmannssucht zutage. Die beifallheischenden Effekte – von den rosa Pfeilern der Eingangshalle bis zu den neckisch goldglänzenden Kapitellen – nutzten sich

Erlebniskultur im Bonsaiformat

schnell ab. Architekt Thomas Klumpp hoffte zur Eröffnung, sein Kunstprodukt möge „für mehr als 15 oder 20 Jahre“ bestehen; nach drei Jahren mag man es schon nicht mehr sehen. Wer in den Farben der Saison schneidert, der kommt eben schnell aus der Mode.

So hat der aufstrebende Stadthallenbau empfindliche Dämpfer bekommen; soviel Dynamik war den Bremern womöglich unheimlich. Vor allem aber bildet das neue, ungleiche Ensemble einen dicken Riegel an der Nordseite der Bürgerweide. Dabei zielten die wenigen Bemühungen der Stadtplaner eigentlich stets auf das Gegenteil. Galt es doch, den bereits bestehenden Riegel, den der Bahnhof samt Gleisanlagen Mitte des 19. Jahrunderts in die Stadt getrieben hatte, wieder durchlässig zu machen. Mit den An- und Nebenbauten der Stadthalle aber ist nun, Stück um Einzelstück, eine weitere Barriere errichtet worden. Nun soll das Bollwerk nochmals verstärkt werden: Im Westen des Platzes sind 10.000 Quadratmeter neuer Messehallen geplant. Wird der Wettbewerbsentwurf des Bremer Büros Gert Schulze realisiert, dann ist der Riegel zwischen Bürgerweide und –park komplett. Dieser Umstand ist auch den Architekten nicht verborgen geblieben. „Transparenz“ lautet das neue Zauberwort. Die gewaltigen Raummassen sollen mit einer filigranen Trägerkonstruktion gebändigt werden; durch die gläsernen Außenhäute möge gar „der aus der Landschaft hereinwachsende Grünraum“ sichtbar werden. Aber 10.000 laufende Quadratmeter bleiben 10.000 Quadratmeter und somit ein massiver Eingriff, da helfen alle guten Wünsche nichts.

Es ist der Versuch einer vorsichtigen Stadtreparatur, die hier in Andeutungen sichtbar wird: In der Abkehr von den theatralischen Posen z.B. der Klumpp-Architektur will man bei den neueren Projekten weiteren Schaden fürs Stadtbild vermeiden. Doch die einzelnen Bauten können kaum ausbügeln, was die fehlende Stadtplanung bereits gründlich verbockt hat. Groteske Formen nimmt der gute Wille dort an, wo die Architekten künstliche grüne Inseln konstruieren, weil eine wirkliche Anbindung ans Grüne fehlt. Das bewaldete Foyer im „Musicon“-Entwurf von Daniel Libeskind hat Symbolcharakter – hier sind die „Center-Parcs“ mit ihrer Erlebniskultur im Bonsaiformat auch nicht mehr weit.

Dennoch gibt es auch in einigen der neuen Einzelprojekte gute oder zumindest gutgemeinte Ansätze, der zerfahrenen Bürgerweide mehr Ordnung zu verleihen und sie gleichzeitig zu entriegeln. Die langersehnte Öffnung zur Innenstadt soll vor allem durch den neuen Nordausgang des Hauptbahnhofs erreicht werden. Das Torgebäude, geplant vom Bremer Büro Sommer, soll die BahnkundInnen direkt auf die Bürgerweide bringen. Wer aus dem Torhaus kommt, soll von einem kleinen Platz empfangen werden. Der neu gepflasterte „Klangpfad“, ebenfalls im Bau, schließt sich direkt an und führt in großem Bogen zur Stadthalle, zum CCB und vielleicht einmal zur Messe. So weit, so schön. Endlich scheinen die Einzelprojekte mal sinnvoll miteinander verknüpft zu werden. Und der „Klangpfad“ bildet endlich eine spürbare Platzeinfassung. Aber wieder hakt es an den Anschlußstellen – wieder deshalb, weil ein fehlender Rahmenplan die Abstimmung erschwert.

Sommers Torgebäude ist zunächst einmal eine architektonisch elegante Lösung für diesen Ort. Die weite, tonnenförmige Öffnung des Portals gibt dem Bau Signalcharakter, aber auf weitere bildhafte Schnörkel verzichtet die Fassade. Im Inneren spannen sich stählerne Bögen über der Passage; ein zurückhaltendes Zitat aus der Ingenieursbaukunst der Bahnhofsgründerzeit. Der Investor schwärmt bereits von der „Boulevard-Atmosphäre“, die sich hier entfalten möge. Im März nächsten Jahres sollen Backstuben, Drogerien und eine „Erlebnisgastronomie“ Leben in die Bude bringen. Jetzt bräuchte es nur noch einen Italiener, der auf dem angrenzenden Plätzchen mal richtigen Cappuccino servierte.

Aber genau dort plant schon wieder ein anderer Bauherr – die Stadt Bremen selbst. Und die hat erstmal zwei Autoparkplätze auf ihre Pläne gemalt: einen für Taxen, einen für Kurzparker – nicht, daß es auf der Bürgerweide schräg gegenüber tausende Parkplätze gäbe. Mit den ab- und abfahrenden Blechkisten dürfen sich dann die Caféteriagäste arrangieren. Und dazwischen gondeln wahrscheinlich noch einige Dutzend RadlerInnen umher: Gleich neben dem Platz entsteht gerade ein Fahrradparkhaus mit 300 bis 400 Plätzen.

Reibungspunkte dieser Sorte sind chronisch für die Bürgerweide. Eben erst hat die Bahn AG beschlossen, ab Ende Oktober zumindest einen „provisorischen Durchgang“ zwischen ihren Gammelröhren und dem neuen Torhaus zu ermöglichen. Bekanntlich stand nichts Geringeres als Trafostation im Wege. Und auch der „Klangpfad“ hat noch Anschlußschwierigkeiten. Der großzügig ausholende Bogen endet derzeit abrupt am CCB; wer über das edle Granitpflaster flaniert, findet sich unversehens auf einer Art Abschußrampe der Fa. Klumpp & Co. wieder.

Faustrecht des Freimarkts

Ideen, wie die Bauten der Bürgerweide sinnvoll zu verbinden wären, gibt es dabei in Hülle und Fülle. Seit 1927 schrieb die Stadt drei städtebauliche Wettbewerbe aus. Die Preise wurden vergeben, die Ideen vergessen. Was hätte alles aus der Bürgerweide werden können: Sportplätze nebst „Konzertgarten“ waren in einem Entwurf von 1927 vorgesehen; ein zentrales Gartenlokal, über eine Fußgängerbrücke erreichbar, schlug die Architektengruppe Dahms 1978 vor. Geradezu revolutionär der Plan von Hans Scharoun von 1955: Er bezog auch den Rand von Findorff sowie das nahe Parkgelände in seine Überlegungen ein und entwarf ein ganz neues Netz an Verkehrsbeziehungen. Dabei hätte ein diagonaler Weg querbeet vom Hollersee nach Findorff geführt – heute ist der Weg ein einziger Umweg. Der Freimarkt bekäme Freiflächen nahe dem Schlachthof zugewiesen, der Rest sollte grün werden.

Letztere Idee hat die Planer nie losgelassen. Noch in einem Vorschlag des Ausschusses für Wirtschaftsforschung von 1983 gibt es einen durchgehenden Grünzug vom Bürgerpark über die – heute nur in Trümmern vorhandene – Herdentorsanlage bis zum Bahnhof; die verkommene Deetjen-Allee würde zurückgebaut und durch Fußwege ersetzt. So wären Beziehungen zwischen der Bürgerweide und dem Rest der Welt möglich. Und die Stadthalle, so der Vorschlag, könnte gar in „Bürgerparkhalle“ umgetauft werden.

Doch dazu bräuchte es eine Stadtplanung, die diese Ideen durchsetzen will – gegen die Lobbys privater Interessenvertreter. Gegen eine Autolobby, die freie Fahrt bis vor die Stadthalle einklagt. Und gegen die Schaustellerlobby des „Freimarkts“, deren Proteste gegen jedwede Art von Bürgerweideplanung längst zum absurden Schauspiel geworden sind. Wehe dem Bürgermeister, der den mächtigen Losbudenmagnaten beim alljährlichen Treff in „Jonny Schulzes“ Bierzelt ein paar Quadratmeter Platz abringen muß! Aber erst, wenn es gelingt, die Nomadenzelte der „Freimarkt“ und der „Hafa“ zu verlagern, wenn nicht länger die kurzlebigen Spektakel und kurzsichtigen Bauvorhaben eine langfristige Planung behindern – dann könnte die Bürgerweide wieder ansehnliche Form gewinnen. Dann könnte Leben in der Steinwüste wachsen und der alte Name des Platzes wieder Geltung bekommen. Thomas Wolff