■ Normalzeit
: Die Mätresse des Museumsdirektors

Eigentlich müßte die Überschrift „Wenn die Öffentlichkeit sich verleugnet!“ lauten. Denn es geht mir um das ständige Wegducken und die „Ich bin nicht da!“-Rufe der Journalisten, wenn mal wieder ein Bürger (sprich: „hartnäckiger Querulant“) oder ein Pressesprecher („oller Quatschkopf“) anruft bzw. persönlich vorbeischaut. Ein mit mir nicht gerade befreundeter Öko- Redakteur läßt sich regelmäßig bei ornithologischen Verbänden verleugnen. Seine wunschkinderlose Kollegin reagiert besonders auf Faxe des Verbandes der Großfamilien beleidigt.

In einer anderen Zeitung arbeitete mal eine Sportreporterin, die bei jedem Telefonklingeln mit der Bemerkung hinauseilte: „Wenn Boris Becker dran ist, bin ich unterwegs!“ Ganz schlimm trieb es diesbezüglich ein Herr Ritter aus Spandau, der einen verschraubbaren Maßschuh konstruiert hatte und seitdem die Menschheit primär über das Herstellen von Öffentlichkeit damit zu beglücken versucht. Jedesmal, wenn er in der Lokalredaktion anruft, stürmt alles in die Raucher-Flure und läßt die Assistentin in ihrem Unglück allein.

Herr Ritter versuchte es zuletzt über die Kunstschiene: An den Füßen des Reiterstandbildes von Wallot wollte er seine Maßstiefel ausstellen. Daraus wurde aber vor allem ein Aktenvorgang von beträchtlichen Ausmaßen, mit dem der Bezirksstadtrat für Kultur schließlich so weichgekocht wurde, daß er die Beschuhung des Denkmals für vier Stunden genehmigte. Das brachte den „Ritter aus Spandau“ derart aus der Fassung, daß er seinerseits prompt den zuvor hergebetenen Bild-Reporter samt -Fotografen vom Ort des Geschehens vertrieb, indem er sich kategorisch weigerte, persönlich neben dem beschuhten Reiter zu posieren: „Sie sollen nur die Stiefel photographieren, und damit basta!“ Seitdem zuckt sogar der an sich hartgesottene Bild-Reporter zusammen, wenn seine Kollegin ihm lächelnd den Hörer rüberreicht, mit der Bemerkung: „Da ist ein Herr Ritter am Telefon!“ Überhaupt hätten es die meisten Journalisten am liebsten, wenn ihre Informanten gleich nach Übergabe der Story verenden würden: Da wollen die einen den Interviewtext noch einmal vor Drucklegung gegenlesen und ziehen ihn dann womöglich zurück (Günter Grass!), und die anderen behaupten steif und fest, das hätten sie so und so nie gesagt, zumindestens nicht so gemeint (Björn Engholm!). Ganz übel sind die bildenden Künstler: Sie lassen sich immer wieder was Neues einfallen! Da gibt es welche, die verschicken ganze Backsteine als Einladungskarten. Und welche, die ihre Kritiker persönlich zur Ausstellungseröffnung abholen, sie sogar noch nach Mitternacht anrufen, um sich zu erkundigen, wie weit die Sache gediehen sei.

In dem Maße, wie sich die Protestfelder (Frauencamp Mutlangen!) zu veritablen NGOs mit speziellen Presseabteilungen (Moruroa!) mausern, professionalisieren sich die Pamphletisten zu veritablen „Journalisten“, zur „Info-Elite“ mit Jet-lag gar. Als solche reagieren sie zunehmend allergisch auf Bürgerbegehren. Die werbekundenorientierten Medien haben dabei ironischerweise mehr Skrupel als die linken. Wenn sie ihre „Informationspflicht“ auch gerne auf MOS- (Man on the Street)-Shots beschränken. Den Ausweg bietet der Promi: ein MOS mit eingebauter Einschaltquote quasi. Es erfordert jedoch Fingerspitzengefühl, zum richtigen Anlaß den passenden Promi zu promoten, wie der Topjournalist sein Anbaggern gern nennt. Derzeit macht sich ein Trend zu Persönlichkeit und Human Touch breit: Der szenische Einstieg ist ebenso obligatorisch geworden wie blonde Ansagerinnen: „Grauer Nebel kroch über die Geleise, als der Dichter an die Bahnsteigkante trat“ (Goethe besucht den Anhalter Bahnhof). Über diesen albernen Umweg kommt auch der Querulant langsam wieder zum Zug. Helmut Höge

wird fortgesetzt