In Lohn und flüssig Brot Von Michael Rudolf

Auf den Tag genau ist es nun fünf Jahre her, daß ich meinen Abschied von der Kleinstadtbrauerei nahm. Denn daß immer die gleichen Menschen sich zu ewig gleicher Zeit und Stelle einfinden sollten, nur um den Begriff Lohnarbeit in der Zone mit Leben zu erfüllen, war oftmals Gegenstand meiner Beanstandung.

Am meisten formte mich die Zeit, in der ich als Hilfsschichtmeister über ein Rudel Ungelernter gebot, um Flaschen abzufüllen. Viele der nicht in jeder Hinsicht Arbeitswilligen mußten erst mit dem Lieferwagen geholt werden, da sie des Uhrenlesens nicht mächtig waren. Andere verliefen sich bei Spätschicht zuvor ins Wirtshaus, wo ich sie aufzuspüren hatte. Wortkargheit und verschlossenes Wesen war man von ihnen nicht gewohnt. Oft streiften ihre Äußerungen das weite Feld der Verächtlichmachung, und in bezug auf Gewaltanwendung vertraten sie alles andere als zurückhaltende Positionen. Meist aber bekam ich die Schicht doch noch voll.

Vor allem wortblinde Weibspersonen bildeten den Stamm der doppelt freien Lohnarbeiter, die am Flaschenabfüllband Mehrwert schufen. Unverzüglich nach Schichtbeginn gingen sie daran, anderen Kollegen unzüchtige Praktiken in Aussicht zu stellen, um sie von der Steigerung der Arbeitsproduktivität abzubringen. Mir blökten sie in schrillem Diskant unsittliche Angebote ins Ohr oder brachten stark derangierte erotische Kampfliteratur in Umlauf.

Leise langsam wich die Luft gen Abend aus dem Sonnenballon. Wundersam Parabel beschrieb die gezielt geworfene Bierflasche, kühnen Bogen dieser oder jener gebrauchte Damenhygieneartikel. Auch mit dem beiläufigen Hinweis auf ihre Verantwortung als Inhaber der Produktionsmittel mit Hilfe leicht verständlicher Wendungen (einfacher Ausrufesatz) waren sie nicht davon abzuhalten, selbst Schimpfwörter wurden nur anerkennend von ihnen wiederholt. Die Adressaten ihrer ehebrecherischen Absichten gefielen sich nicht minder in Eigentums- und Sittendelikten. Da wurde auch Weibes und Geldes halber gerauft und in den Flaschenscherben gesielt und gesuhlt, denn die von Affektlabilität und psychomotorischen Störungen heraufbeschworenen Situationen schienen selten geeignet, die Auseinandersetzungen auf sachlicher Ebene fortzusetzen.

Fleißig hatte ich als Unparteiischer die Verstümmelten zum Hallenausgang zu tragen, da sich die DRK-Wagenfahrer entschlossen weigerten, diesen unreinen Ort zu betreten. Die geschulterte Menschenlast tönte meine Arbeitsschutzbekleidung in der Farbe, die an den Verkehrsampeln dem Motorwagen gemeinhin Einhalt in der Anmut der Bewegung gebietet: Rot war der Kittel von Arbeiterblut, aus Wunden, gehauen im ehrlichen Streit, Mann gegen Mann, Mann gegen Frau, Mensch gegen Glasscherbe und Fallgesetz.

Da verstand ich, warum die Praxis als Kriterium der Wahrheit gilt. Eine Behauptung, die die Bierfabrikarbeit jener Zeit zu den reizvollen zählt, verdiente es jedoch mit Recht unzutreffend genannt zu werden. Nach neun Jahren in Lohn und flüssig Brot reduzierte ich mein Mitwirken an der Verworfenheit der objektiven Realität auf beschreibende Tätigkeiten. Punktum.