Es geht!

Listic ristig: Fortunas Pokal-3:1 über Bayern kann die Liga lehren, wie scheinbare Münchner Superstärke als Schwäche zu nutzen ist  ■ Aus Düsseldorf Bernd Müllender

Zu mitternächtlicher Stunde, in edler rheinischer Herberge, lümmelten sich die Bayern-Cracks in Lederfauteuils und scherzten und lachten und alberten. Erleichtert konnten die Dreamteamer ein weiteres Pflichtspiel ihres mühseligen Arbeitsprogramms abhaken. Und wurden gesalbt: „Mit Ruhe und Gelassenheit“ hätten sie trotz Rückstand gekickt, lobpries Otto Rehhagel den Auftritt und gab kund, daß nur „eine Unachtsamkeit meiner Jungs das 2:1 gestattet“ habe. „Positiv, wirklich positiv“, fand Vize-Rotbacke K.-H. Rummenigge. Und Abo-Auswechselherzerl Andreas Herzog analysierte sogar sagen-haft: „Ich will nicht viel sagen, denn was soll ich groß sagen, kannst eh nix sagen.“

Doch, kann man.

Die eigenen Stärken seien die Schwächen der anderen, hatte Fortuna-Coach Alex Ristic klug als Saisonlosung seiner Altherren- Außenseitertruppe ausgegeben. Im Pokal mußte nur noch ein paar eigene Gesetzesparagraphen weitergedacht werden. Und das hieß: die übermächtige Stärke der Bayern als deren Schwäche ausmachen und erbarmungslos ausnutzen.

Es war Ball paradox. Die Düsseldörfler spielten in einem Kick voll wilder Dramatik und Torchancen im Infarktrhythmus defensiv alles oder nichts: Sie verteidigten hingebungsvoll, ließen aber immer zwei Spitzen an der Mittellinie (Mill, Pancev) und dahinter mit dem Amateur Ben Manga (21) von der Elfenbeinküste einen Wirbelwind als unermüdbaren Antreiber. Das wirkte: Gegendruck kennt der FC Bayern 95 noch gar nicht.

Diese überaus mutige Taktik mag Fingerzeig für die Liga sein: Wenn man den Münchnern schon personell, technisch und strategisch heillos unterlegen ist, ist man im Spiel selbst noch lange nicht hilflos. Man muß eben die wenigen Phasen eigenen Ballbesitzes nicht zum Verschnaufen nutzen, sondern für leidenschaftliche Risikokonter. Und ruck, zuck wird aus Ottos kontrollierter Offensive unkontrollierte Offensive.

Trotz Schablonenfußballs hatten die Bayern-Angreifer ein Dutzend bester Chancen, die indes mit abenteuerlicher Fahrlässigkeit versiebt wurden. Könnte man beim Fußball auch unters Tor schießen, Bayerns Mittelstürmerversammlung aus vier Nationalteams hätte dies am Montag abend geschafft.

Fortuna ließ den Bayern mit gastgeberischer Großzügigkeit alle Möglichkeiten, sich mit der Arroganz eigener Stärke und pomadiger Überlegenheit selbst zu schlagen. Schon das 1:0 fiel nach diesem Muster: Christian Ziege, Personifizierung bajuwarischer Selbstherrlichkeit, tunnelte an der Mittellinie elegant einen Gegenspieler, nahm den zweiten (Dauerarbeiter Thomas Seeliger) in der eitlen Freude eigener Kunstfertigkeit nicht wahr, ließ sich die Kugel mopsen, sah noch seinen Kollegen Helmer eine Alibigrätsche auf den Rasen zelebrieren, aber da war es schon zu spät: Langer Sprint Seeliger, kurzer Rückpaß, schnellfüßiger Direktschuß Pancev, und drin.

Und wenn dann wie bei Helmers Ausgleich der Ball doch noch ins Gegnertor gestolpert wird, liegt der fatale psychologische Reflex in der Bayernseele nahe: Na also, geht doch. Da schaufelt man dann weiter die Kugel übers Geviert, bis erneut Seeliger kommt: Langer Sprint, kurzer Steilpaß, Cyron umkurvt den herumkrabbelnden Keeper Kahn, leichtfüßiger Schuß und drin.

Fortunenstürmer Frank Mill (37 mittlerweile), wunderte sich, daß man auch nach 20 Jahren Profigeschäft noch Neues lernen kann: „Die Bayern hatten gar kein System; es war, als hätten die immer einen Mann weniger.“ Selten sei er so sorglos gedeckt worden. Obwohl die Münchner Zweierabwehrkette mit abechselnd Babbel, Strunz und Helmer aus routinierten Bertimanen bestand!

Wie gesagt, Ball paradox: Fortuna-Trainer Listic entschuldigte sich nachher ristig bei den Zuschauern: „Die Leute sind gekommen, um die Bayern zu sehen, und haben uns mitgesehen.“ Schon Freitag ruft der harte Liga-Alltag, kommt der KFC Uerdingen, ein richtiger Gegner mit richtigen Abwehrspielern und richtiger Leidenschaft, wie die Fortuna sie auch hat. Richtige Fußballer halt, keine kunstfertigen Kunstfiguren.

Fortuna Düsseldorf: Koch - Drazic - Werner, Schwinkendorf - Winkhold, Glavas, Seeliger, Manga, Mehlhorn - Pancev (63. Cyron; 90. Bach), Mill (73. Istenic)

Bayern München: Kahn - Strunz - Babbel, Helmer - Hamann (46. Scholl), Sforza, Herzog (46. Papin), Nerlinger, Ziege - Zickler, Klinsmann

Tore: 1:0 Pancev (20.), 1:1 Helmer (74.), 2:1 Cyron (79.), 3:1 Seeliger (90.)

Zuschauer: 45.000