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Ein Glück, das Leiden ist

Klaus Theweleit hielt die Laudatio bei der Verleihung des Adorno-Preises an Jean-Luc Godard  ■ Von Mariam Niroumand

Wie gesagt: Es war seltsam genug, überhaupt einen Filmemacher mit dem Theodor-W.-Adorno-Preis zu ehren, dessen Invektiven gegen das (amerikanische!) Kino an Zornesgewalt nur noch von denen gegen den Jazz übertroffen wurden.

Daß es Jean-Luc Godard war, der mit diesem bitteren Lob gepriesen werden sollte, fügt sich dann aber wieder. Es fügt sich in eine bestimmte Tradition des europäischen Films und seiner Rezipienten in Feuilletons und Kulturkritik, denen das Kino, speziell das amerikanische, insgeheim immer ein wenig verdächtig geblieben ist. In seiner Laudatio für Jean-Luc Godard am vergangenen Sonntag in der Paulskirche hat dann überraschenderweise Klaus Theweleit, den ich immer für fester vertäut gehalten hätte mit der amerikanischen Popkultur, erklecklich viele dieser Verdächtigungen reproduziert – in Form eines Lobes, versteht sich, aber dennoch. Weil man die ästhetischen Auswirkungen dieser Ressentiments auf allen Filmfestivals des Kinojubiläums schmerzlich zu spüren bekommt, lohnt es sich doch, sie einmal genauer zu besehen.

Eins lautet: Das Kino ist nichts, wenn es nicht vor allem andere Künste ist. Theweleit: „Sie wissen, daß Godard seine Filmtexte immer mit Texten aus Büchern anderer anfüllt. Büchern, die er dazu meist im Bild zeigt. Godardfilme sind Filme, in denen Leute aus Büchern vorlesen.“ Film als Literatur. Oder: „So sehen wir im Film ,Nouvelle Vague‘ die Schönheit von Parks und Gewässern durch den Film gleiten, wie sonst nur etwas gleitet zwischen dem Licht Monets und dem Renoirs ...“ Und, über „Passion“, in dem Meisterwerke der Malerei nachgestellt werden sollen: „Godards Kino malt schöner als El Greco es konnte.“

Dieser Verbindung folgt natürlich die Vorstellung von einem legitimen Künstlertypus auf dem Fuße. Ihre säkulare Variante heißt: Wo keine Krise ist, kann keine Kunst sein; ihre religiösere arbeitet mit Passion; beide finden sich hier. (Klar, daß ein Typ wie Spielberg – der Spielberg von vor „Schindlers Liste“ – vor solchen Augen keine Gnade findet.) Theweleit führt Godard, wenn mich nicht alles täuscht, als Lichtgestalt ein; dann als einen Exilierten, der ein „Vertriebenenleben am Lac Léman in der Schweiz“ führe: „Ich selbst“, so zitiert er Godard, nachdem vorher von Murnau, Lubitsch, Wilder und anderen nach Amerika Ausgewanderten die Rede war, „bin ein Frankreichvertriebener“.

Ein solcher Künstler kann auch nicht unmittelbar in der Gegenwart aufgehen; die Gegenwart ist ein Fallstrick, in ihr zu leben wäre die schiere Affirmation. Statt dessen Ignoriert-, Verkannt-, Unverstandensein; eines Künstlers allerdings, der allen Korruptionsversuchen zum Trotz sich wieder und wieder dem verschlingenden Kampf mit der Schönheit aussetzt: „Das ist Passion“, schreibt Theweleit, „ein Glück, das Leiden nur insofern ist, als diese Erzeugung von Schönheit nicht bemerkt zu werden scheint, bzw. daß diese Qualität des Kinos wieder vergessen wird in den letzten zwei, drei Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhunderts, nachdem es diese in seinen Anfängen und dann noch einmal in seinem sechsten und siebten Jahrzehnt in Frankreich so vehement entdeckte. Soviel zum Licht, Lumière.“ Wie bitte? Nur in seinen Anfängen? Nur in Frankreich? Nach Griffith nix mehr gewesen in Amerika? Japan, nix? Kein Fassbinder? Kein Ray? Kein Fellini?

Nein, das Kino, das hier gemeint ist, war nur bis zur Einführung des Tonfilms gut. Mit ihm nämlich kam die „Erzählung“, das absolute Teufelswerk. Deshalb: Dekonstruktion. Noch die albernsten Hinweise mit dem Hammer (Vorsicht, hier wurde montiert!) werden in dieser Laudatio goutiert: der Blick in den Schneideraum bei „King Lear“, in dem zwei Filmstreifen mit einer Sicherheitsnadel zusammengeheftet werden, das Zusammennähen an anderen Stellen, die vielen Hinweisschilder.

Godard war sich ja nicht zu schade, in „Soigne ta droite“ sein Verhältnis zur Filmindustrie in die Geschichte vom Idioten zu kleiden, der eines Nachmittags einen Anruf bekommt, an höherer Stelle sei man bereit, ihm seine Sünden zu vergeben, wenn er sich eine Geschichte ausdenkt, sie verfilmt und eine Kopie des Films noch bis zum späten Nachmittag in der Hauptstadt abliefert. „Um diesen Preis, aber wirklich nur um diesen Preis, sei man bereit, ihm zu vergeben.“ Theweleit berichtet von einem Fernsehgespräch Godards mit der Duras, bei dem diese sich als Anhängerin einer „harmonistischen Ästhetik“ geoutet habe. Sie hatte nämlich Godard gefragt, ob er nicht auch Fertiggestelltes wieder und wieder neu auseinandernehmen müsse, bis es funktioniere? Nein, habe Godard da geantwortet, „wenn der Film bei mir fertig ist, ist er auseinandergenommen.“ Nur ein kaputter Film ist ein guter Film.

Drittes Dogma: Was immer man dem Kino abgewinnt, ohne Arbeit ist es nicht zu haben. Man geht schließlich nicht zum Vergnügen hin. Womöglich ist das, wie Theweleit ganz recht vermutet, eine Gemeinsamkeit gewesen, die die Jury zwischen Adorno und Godard ausgemacht hat: „Die Überforderung des Sehenden ist ein Konstruktionsprinzip Godards – das ist bei guten Büchern übrigens nicht anders; ganz sicher war dies bei Adorno Programm. Man muß zwei-, dreimal sehen, lesen.“ Oder: „Wir lernen aus seinen Filmen, daß Sehen etwas ist, mit dem es bei uns hapert. Wir glauben zu sehen und gesehen zu haben und stellen, später, fest, daß es nicht Sehen war, sondern Denken [...] Dazu weiß Godard einen Satz von Heidegger: Denken könne man nur auf Deutsch. Das ist richtig, sagt er, wenn man hinzufügt: sehen nur auf Französisch.“

Das könnte ja noch als Posse durchgehen, spräche nicht aus jeder Zeile, und zum Ende der Laudatio hin immer lauter, die Angst vor dem entfesselten, unkontrollierten Zuschauer – gerade auch in Deutschland!

Viertes Dogma nämlich: Das Kino ist so kaputt wie Deutschland – was man daran sieht, daß beide ohne maßgebliche Intellektuelle oder gar Künstler von oben beschriebenem Format auskommen.

Godard konnte das sehen, weil sein Kino vorsichtig ist mit dem Körper von Frauen (als Beispiel wird die Konversion von Isabelle Huppert in das Lamm Gottes und dessen anschließendem Liebesakt mit dem Regisseur aufgerufen!). Weil er Partei nimmt für die Frauen, und weil er Partei nimmt für eine Arbeit, die mit mehr belohnt wird als bloß „Geld und Freizeit“. Godard konnte 1950 schon etwas sehen, das „die wenigen vernünftigen Leute meiner Generation hier mühsam durchkämpfen mußten in den siebziger und achtziger Jahren. Hitler als Verführer von im Grunde Unschuldigen, bevölkert bis heute das Gros der deutschen Gehirne, nicht Hitler als Organisator einer tief im deutschen Körper verwurzelten Mordproduktion, als reinster und zugleich schäbigster Ausdruck der Wünsche der Mehrheit der Deutschen von 1933 bis 1945.“

„Allemagne Neuf Zéro“ ist ein Film, den eigentlich die Deutschen hätten machen müssen, und in dem man, so Theweleit, Godards Eindruck sieht, daß alles Leben aus Deutschland verschwunden zu sein scheint nach Goethe, mit einem kurzen Wiederaufflackern in Freud und im frühen deutschen Film. „Dann ist, im Nachvollzug einiger Sätze Hegels zur Geschichte, der Tod hier eingezogen, der Tod in Preußischblau, in Feldgrau, in Schwarzweißrot, in der Kurfürstendamm-Erleuchtung und in einem schmutzigen Blaugrau ...“ Daß zum Schluß Godards Blick noch auf ein Schild „Ideen und Gase“ von der Firma AGA fällt, ist Theweleit dann vollends zufrieden, so als hätte es die Nachkriegszeit, seine Sechziger und Siebziger, tatsächlich nie gegeben, sondern nur die ewigen Deutschen, in deren „Körper“ etwas zirkuliert, das sie nicht loswerden. Politische Weltkunde als mittelalterliche Säftelehre. Oder nannte man sowas nicht auch mal Erbsünde?

Zu diesem Körper darf man auf keinen Fall ungeschützt sprechen. Einfach so Bilder zeigen, womöglich in Geschichtenform, God(art) sei bei uns! Wenn diese deutschen Körper im dunklen Kinosaal einfach sich selbst überlassen werden, wer weiß, was sie wieder anstellen. Sie sind imstande und lärmen und gehen ein Haus weiter, weil sie Kintopp suchen.

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