■ Der Fehltritt einer Fraktionsvorsitzenden
: Die PDS ist nicht Sitte(n)los

Eine Cremetube, nach großzügiger Schätzung zehn Mark wert, hat die PDS-Fraktionsvorsitzende im Landtag von Sachsen-Anhalt, Petra Sitte, in die Bredouille gebracht. Als sei sie vor die Zentrale Parteikontrollkommission seligen Angedenkens gezerrt worden, brach Petra Sitte am Samstag vor den Delegierten des Landesparteitages in Tränen aus, gestand die Tat ein und gelobte Besserung. Schließlich bat sie, um Schaden von der Partei abzuwenden, ihre Fraktion um ein Vertrauensvotum.

Wenn Repräsentanten anderer Parteien die Zeche prellen, falsch Parken oder beim Schwarzfahren erwischt werden, dann wird dies ohne viel Aufsehens aus der Welt geschafft, wenn nicht sogar unter der Hand kokett als Zeichen besonderer Volksverbundenheit gehandelt. Selbst die Boulevardpresse, sonst scharf wie Lumpi auf Verfehlungen von PDS-Politikern, hätte angesichts dieser Lappalie auf weitere Schlagzeilen verzichtet. Die Sache hätte sich von selbst erledigt, Gelassenheit wäre also angemessen gewesen. Doch gestern saß die PDS-Fraktion zu Gericht, diskutierte darüber, ob Petra Sitte angesichts dieses Fehltrittes als Vorsitzende „persönlich und politisch“ noch tragbar sei. Nach zwei Stunden Diskussion entschied die Fraktion, Petra Sitte darf bleiben.

Warum hat die PDS keine Schwierigkeiten, einem Mauerschützen, der nur seine „Pflicht“ getan haben will, ihre geschlossene Solidarität zu bekunden, und quält sich gleichzeitig derart wegen einer nicht bezahlten Hautcreme? Einmal mehr zeigt sich, wie konservativ und ihren alten Denkstrukturen verhaftet die PDS in ihrem Kern ist. Klauen ist kriminell, wenn es unbedingt sein muß, ist es auch alternativ, aber sozialistisch ist es eben in keinem Fall. Aus gutem Grund war diese Form der Einkommensumverteilung von unten auch in der DDR verboten und Schwarzfahren lediglich angesichts mangelnder Entwertertechnik geduldet. Und wenn sich Petra Sitte schon nicht mehr am Volkseigentum vergreifen konnte, hat sie doch der Partei politischen Schaden zugefügt. „Glaubwürdig“ will die PDS für die Interessen der Menschen eintreten, und zu den Tugenden eines Sozialisten gehörte es schon immer, pflichtbewußt ein leuchtendes Beispiel zu geben und nicht mit individuellen Aktionen oder menschlichen Fehltritten „die Sache“ zu gefährden. Aber auch Selbstkritik mögen die Genossen, denn das stählt und gibt Kraft für die heeren Ziele. Christoph Seils