Die Bank des Mailänders

Portrait der Mediobanca und ihres Herrschers Enrico Cuccia, der sein Institut zum wichtigsten Herrschaftsinstrument Italiens gemacht hat  ■ Aus Mailand Werner Raith

Am Anfang stand eine Abschiebeaktion: „Geben wir dem Kerl eine eigene Bank“, sagte 1946 der aufs höchste genervte Chef der Banca commerciale italiana, Raffaele Mattioli, „dann läßt er uns wenigstens in Ruhe.“ Die Rede war von einem – für die Gerontokratie des frühen Nachkriegsitaliens – fast noch kückenhaften Aufsteiger, Enrico Cuccia. Der 39jährige war nach einer nur kurzen Lehrzeit an der Banca di Roma in die Banca commerciale eingetreten und hatte alsbald die Stelle eine kaufmännischen Leiters bekleidet. So setzten sich die Chefs der damals drei einflußreichsten Institute – Banca di Roma, Banca Commerciale und Credito Italiana – zusammen und gründeten ein kleines Kreditinstitut namens Mediobanca, das eine Etage des Palazzo in Mailands Via Filodrammatici 10 bezog und in dem Cuccia sich, nach Ansicht seiner Entsorger, nun redlich um Kunden mühen und ansonsten seine Finger aus anderen Geschäften lassen sollte.

Doch der lehrte sie in kürzester Zeit das Fürchten: Innerhalb weniger Jahre hatte er in der Geldmetropole Mailand die meisten Fäden in der Hand, und seine Mediobanca überflügelte bald alle Konkurrenten auf dem Privatbanksektor: Heute gilt sie als das einzig stabile Institut im ganzen Lande. Wo Fusionen anstehen und viel Geld gebraucht wird, ist Mediobanca nicht weit. Ihr Chef gilt als der einflußreichste Mann Italiens. Und in den letzten vier Wochen landete die Bank gleich zwei Coups, die weltweit Aufsehen erregten: Anfang September die Fusion der Fiat- Tochter Gemina mit Montedison, Filetstück aus dem Ferruzzi-Konzern; und vergangene Woche die erfolgreiche Nacht-und-Nebel- Aktion zur Rettung des angeschlagenen Computerkonzerns Olivetti des Carlo De Benedetti. Und noch immer zieht Enrico Cuccia die Fäden, mittlerweile nahe den neunzig, aber noch immer ein Muster an Lebendigkeit und an Boshaftigkeit. Eine Art mediterranes Gegenstück zum erst voriges Jahr in ebenfalls biblischem Alter gestorbenen Deutschbankier Josef Hermann Abs.

Offenbar unverwundbar, ist die Mediobanca seit den fünfziger Jahren Teil aller wichtigen Entscheidungen im Industrie- und Finanzsektor gewesen. Cuccia half nach dem Finanzskandal um die Mailänder Privatbank Banca Ambrosiano ebenso wie bei der Sanierung des schwer in Mitleidenschaft gezogenen Rizzoli-Medien-Imperiums (dessen Flaggschiff, die Zeitung Corriere della sera er Fiat zuschanzte). Auch die – mittlerweile durch Gerichtsverfahren als höchst korrupt erwiesene Fusion des Ferruzzi-Chemie- und Mischkonzerns mit dem staatlichen Petroleumgiganten ENI leitet er – und danach deren ebenso umstrittene Trennung. „Der Mann ist zwar in Rom geboren, denkt aber wie ein Mailänder“, sagt einer seiner Biographen, „aber dabei entwickelt er eine Schlitzohrigkeit, die er nur von seinen sizilianischen Eltern her haben kann.“

1989 allerdings geriet die Mediobanca in schwere Turbulenzen – weniger finanziell als juristisch, die Staatsanwälte warfen Cuccia und seinen Managern Bilanzfälschung und Anlage von Schwarzgeldfonds vor. Doch von einem Abschluß des Verfahrens hat man bis heute nichts gehört.

Im ansonsten aus einem schier unentwirrbaren Filz aus Politikern, hohen Beamten, Finanziers, Managern und Magnaten aller Art bestehenden „Palazzo“ der italienischen Herrschaftsausübung ist Cuccia und sein Institut jedoch immer eine merkwürdige Ausnahme geblieben. Während sich alle Chefs großer Banken emsig um die Gunst der jeweils in Rom herrschenden Parteien und Potentaten bemühten, mied Cuccia jeden Kontakt mit diesen – „Politiker sind Menschen, denen man sich nicht anvertrauen kann“, so eines seiner geflügelten Worte, „sonst wären sie ja keine Politiker“. „Leute, die nie zu einem Abschluß kommen“, „feige Hintertreppenbarone“, „ökonomische Dummköpfe und Spinner“.

Nicht eine der über fünfzig Nachkriegsregierungen fand seine Gnade, mit einer partiellen Ausnahme: die Administration des ehemaligen Notenbankchefs Carlo Azeglio Ciampi, der allerdings für Cuccia „kein Politiker ist, sondern einer, der den Politikern zeigt, wie man's macht“. Den hätte er sich auch weiter an der Macht gewünscht, denn die Forderungen, die er an die Politiker stellte, sind „eigentlich minimal: Stabilität, sichere Koalitionen und Ministerpräsidenten, die sicher entscheiden und nicht nur schwätzen“.

Wer von den Politikern um die Gunst der Mediobanca buhlte, wurde nahezu immer enttäsucht. Berühmt die Abfuhr für den siebenmaligen Regierungschef Andreotti: „Als ich ihn zu einer Aussprache in den Palazzo Chigi (Sitz des Ministerpräsidenten, W. R.) einlud, sagte er: ,Ich treffe gerne den Herrn Andreotti, aber nicht den Ministerpräsidenten Andreotti: In Ihr Amt komme ich auf keinen Fall.‘“

Dabei könnte er rein physisch eine Art Alter ego Andreottis sein: Bucklig und meist alleine schleicht er daher, mürrisch seine Antworten, immer knapp und immer mit Pointen, die weit mehr aussagen als die Worte. Auch die Wirtschaftszeitungen sind immer wieder überrascht, wenn sie entdecken, daß die Bank schon wieder bei einem Geschäft dabei ist – und Cuccia ihnen dann erklärt, daß er das doch vor dreieinhalb Monaten schon mal angekündigt hatte; nur hatte es niemand wahrgenommen. Mehr oder minder große Aktienpakete hat die Mediobanca, außer bei der Gemina, auch bei deren Mutterkonzern Fiat, bei den Großbanken Credit, Comit, der BHF- Bank und der Banca di Roma, den Versicherungsriesen Generali, RAS und Fondiaria, bei Pirelli und Stefanel und bei Ferrero („Kinderschokolade“).

Nur zu natürlich, daß ziemlich viele versucht haben, den Irrwisch persönlich oder, ersatzweise, sein Institut aufs Kreuz zu legen. Vergeblich. Während große Privatbankiers wie Michele Sindona sich in den Fängen der Mafia und des Vatikan verhedderten, Roberto Calvi von der Banca Ambrosiano mit dem Logenksandal „Propaganda 2“ unterging und die Banca di Roma sich der Gruppe Cassa di risparmio di Roma einordnen mußte, ging die Mediobanca aus allen Turbulenzen gestärkt hervor.

Selbst als ihn ein Gesetz mit nahezu 80 Jahren aufs Altenteil zwingen sollte, fand er einen Ausweg. Er ließ sich zum Generaldirektor honoris causa ernennen – und nimmt seither genauso an allen Sitzungen teil wie früher und regiert ungeniert an seinen ernannten Nachfolgern vorbei.

Ein Widersacher allerdings ist geblieben, der ihm immer noch trotzt: Romano Prodi, vordem Generalmanager des Staatskonzerns IRI, der Cuccia lebenslänglich verprellt hat, indem er die Ende der achtziger Jahre begonnene Privatisierung der Staatsholdings unter Ausschluß von Großaktionären durchführte, das Eigentum dagegen weit unter kleine Anleger streute. Als Cuccia vor zwei Wochen die Aktion Gemina-Montedison abschloß, warnte Prodi: „Die Entstehung solcher Superkonzerne ist eine Gefahr für die Demokratie.“

Italien horchte noch einmal auf – schließlich ist Prodi der Kandidat des Mitte-Links-Bündnisses für das Amt des Ministerpräsidenten. Doch schon wenige Stunden danach konnte Cuccia einen neuen Sieg einfahren: Der Chef der in der Prodi-Allianz führenden Linksdemokraten, Massimo D'Alema, stauchte seinen Kanzlerkandidaten öffentlich herunter: Von einer Gefahr für die Demokratie könne keine Rede sein.

Schließlich weiß D'Alema: Wenn Cuccia den Daumen nach unten dreht, hilft auch das beste Programm nichts, dann sind die Wahlen verloren.