„Sühne darf nicht die Falschen treffen“

Der Verteidiger Georg Greeven verlangt im Prozeß um die Morde an fünf Türkinnen in Solingen einen „Freispruch, damit der Verstand und nicht die Emotion das letzte Wort hat“  ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Im Solinger Mordprozeß hat gestern Verteidiger Georg Greeven den 6. Strafsenat des Düsseldorfer Oberlandesgerichts eindringlich vor einem Fehlurteil gewarnt. Am Ende der Beweiserhebung im Düsseldorfer Prozeßbunker könne nur der „Freispruch“ für seinen Mandanten und zwei weitere der insgesamt vier Angeklagten stehen.

Alle belastenden Punkte der Anklage sieht Greeven durch den Prozeßverlauf widerlegt oder zumindest schwer erschüttert. So sei es nach den Zeugenaussagen und den zeitlichen Abläufen in der fraglichen Nacht höchst unwahrscheinlich, daß sein Mandant zur Tatzeit überhaupt am Tatort habe sein können. Greeven wörtlich: „Wo die Wahrscheinlichkeit aufhört, beginnt der objektive Zweifel, der die Anklage zu Fall bringt.“ Immer wieder kam der Anwalt während seines mehrstündigen Plädoyers auf die Unsicherheiten und Widersprüche in den zum Teil widerrufenen Geständnissen von zwei Angeklagten zu sprechen, und versuchte, das Gericht von seinen Zweifeln zu überzeugen. Der Bundesanwaltschaft warf er vor, durch „blindes Vertrauen“ in die Richtigkeit des inzwischen widerrufenen Geständnisses von Markus Gartmann schon zu Beginn des Verfahrens jegliches „Zweifelpotential“ aufgegeben zu haben. Das ist für ihn „der Schlüssel zum Verständnis des gesamten Verfahrens“. Später seien dann aus „Gründen der Staatsräson“ Zweifel nicht deutlich gemacht worden.

Ohne Namen zu nennen, hielt Greeven auch einigen Anwälten der Familie Genç – die als Nebenklägerin im Prozeß auftritt – vor, ausschließlich an der Verurteilung der Angeklagten und nicht an der Wahrheit interessiert gewesen zu sein.

Greeven wörtlich in Richtung Senat: „Bewahren sie uns alle vor der Furcht, politische Dimensionen könnten Einfluß auf richterliche Entscheidungen haben.“ Die Überlebenden des Brandanschlags hätten zwar einen Anspruch auf Sühne für den Tod ihrer fünf Angehörigen, die Sühne dürfe aber nicht die Falschen treffen. „Ein Staat, der einen Unschuldigen verurteilt, ist nicht wehrhaft, er läuft Amok.“ Im Urteil müsse jetzt „der Verstand und nicht die Emotion das letzte Wort haben“. Gleichzeitig appellierte Greeven an den Senat, in der Urteilsbegründung dafür zu sorgen, daß niemand dem Verdacht ausgesetzt werde, von einer Bestrafung „nur durch die List der Verteidiger zu Unrecht davongekommen“ zu sein. Vom Senat sei nun „richterlicher Mut“ gefordert, denn „Nichttäter haben Anspruch darauf, Nichttäter genannt zu werden“.

Der Prozeß wird heute mit den Plädoyers der Verteidiger von Christian R. fortgesetzt.