„Sammelpunkt geistigen Lebens“

■ Eines der letzten Interviews mit Gottfried Bermann Fischer: Seine Buch-Projekte sollten einen Punkt gegen die Zeitströmung setzen

taz: 1925 lernten Sie Brigitte Fischer kennen. Was empfanden Sie, als Sie dann in das Haus Samuel Fischers kamen, das in den zwanziger Jahren ein Zentrum des kulturellen Lebens in Berlin war?

GBF: Für mich war das märchenhaft. Ich bewunderte diese Atmosphäre. Mein Elternhaus war bescheiden gewesen, mein Vater arbeitete als praktischer Arzt und Geburtshelfer. Erst als Soldat und dann als Assistenzarzt war ich auch nicht gerade mit Gütern gesegnet. Plötzlich wurde ich in diese Umgebung versetzt, wo wahrhaft die Aristokratie des Geistes herrschte. Gerhart Hauptmann, Thomas Mann, Jakob Wassermann und Hugo von Hofmannsthal verkehrten bei Fischers ebenso wie der Maler Max Liebermann oder der ehemalige Kolonialminister Bernhard Dernburg. Das Haus selbst hatte der berühmte Architekt Hermann Muthesius für Samuel Fischer erbaut – geschmückt mit Reliefs von Karl Walser, Bildern von Max Liebermann, van Gogh und Cézanne, Gaugin und Corinth. Dank meiner Frau entwickelte sich unser Haus, das in der Nähe von dem S. Fischers lag, bald zu einem zweiten kulturellen Zentrum, wo sich die jungen Schriftsteller Manfred Hausmann und Carl Zuckmayer, Klaus Mann und Walter Mehring trafen, aber auch Künstler wie George Grosz, Erwin Piscator und Bruno Walter. Es war ein Sammelpunkt des geistigen Lebens in Deutschland und zudem international.

Sie haben einmal gesagt, daß Sie nach dem Zweiten Weltkrieg nie mehr richtig nach Deutschland zurückgekehrt sind.

Diese Kultur, für die das Haus Fischer stand, gab es nach 1945 nicht mehr. Dieses kulturelle und wissenschaftliche Deutschland, zuerst primär das medizinische und später das literarische und künstlerische Deutschland, das war für mich „das Deutschland“, in dem ich mich zu Hause gefühlt habe. Heute ist mir der Begriff Heimat völlig entfremdet. Nach dem Verrat, den wir in Deutschland erlebt haben Anfang der dreißiger Jahre, und unserem langen Exil hat sich der Begriff Heimat in nichts aufgelöst – ein sentimentaler Begriff. Meine Frau und ich sind 1947 Amerikaner geworden, aber ich sehe mich nach allem, was ich erlebt habe, als Weltbürger. Das, was uns von Deutschland nach dem Krieg so entfremdet hat, war die Zeit der Gesundung, nicht die Zeit des Leidens. In der Zeit des Leidens hat man uns wunderbar behandelt, und wir haben alles getan, um zu helfen. Das Verhältnis zu unseren früheren Landsleuten war ohne jede feindseligen Gefühle. Aber schon in den ersten Jahren nach unserer Rückkehr 1950 kamen wieder nazistische Züge und eine Fremdenfeindlichkeit zutage.

Haben Sie gegen derlei Zeitströmungen Projekte wie die „Fischer Weltgeschichte“ gesetzt?

Das könnte man sagen. Wir haben diese Taschenbuchreihe zum Teil hier in unserem Haus in der Toskana geplant. Wissenschaftler aus aller Welt und Verlagsmitarbeiter kamen zu uns, und wir saßen auf unserem „Belvedere“, einem weit vorgebauten Aussichtsplatz, um die weitblickenden Entscheidungen für unsere Konzeption zu fassen. Die Idee war, Geschichte nicht im engen nationalen Rahmen zu schreiben und die Kulturgeschichte einzubeziehen.

Trotz Ihrer zwiespältigen Haltung zu Deutschland haben Sie den Verlag wieder hier aufgebaut und mit Ihren Taschenbuchreihen auf ein großes Publikum gehofft.

Millionen von Menschen hatten zwölf Jahre keinen Zugang zu der grundlegenden wissenschaftlichen und belletristischen Literatur gehabt. Diese gebildeten und bildungssüchtigen, vor allem jungen Menschen wollten doch wissen, was sich hinter den Kulissen zugetragen hat. Das war unsere Idee von Anfang an bei der Gründung der Taschenbuchserie. Als die Leser dann unsere Taschenbücher von Freud, Einstein und Mann sahen, hat sich ein völliger Umschwung im Buchhandel zugetragen. Das haben wir vorausgesehen.

Wenn Sie heute auf Ihr fast hundertjähriges Leben zurückblicken, welche Bilanz ziehen Sie?

Meine Lebensarbeit stand unter zwei verpflichtenden Aufgaben: den Verlag zu erhalten und gemäß seiner Tradition fortzuführen und meine Familie vor der Vernichtung durch die Naziherrschaft zu bewahren. Daß mir beides mit Hilfe meiner geliebten Frau und Lebensgefährtin, mit der mich 66 Jahre eine glückliche Ehe verband, und mit Hilfe so vieler getreuer Freunde gelungen ist, erfüllt mich mit unendlichem Dank.