Zeit für den Boylie-Style

Avantgarde-ModedesignerInnen in Berlin, Teil 2: Jörg Pfefferkorn  ■ Von Kirsten Niemann

Die modischen Umtriebe von Jörg Pfefferkorn sind quasi aus der Not geboren. Der gebürtige Rostocker, der sich zu DDR-Zeiten als Molkereifacharbeiter seine Brötchen verdiente, empfand die Bekleidungsgepflogenheiten seinerzeit als „schlichtweg katastrophal“. Es blieb ihm somit gar keine andere Wahl, als sich seine Klamotten selber zu nähen; z.B. aus alten Bettlaken. Noch kurz vor dem Mauerfall schnappte sich der Modegefrustete ein Köfferchen und machte sich über Ungarn auf in den Westen. Endziel: Westberlin.

Bereits während seiner Ausbildung als Modedesigner im Lette- Verein fühlte Pfefferkorn sich dem recycelbaren Secondhand-Material verpflichtet. „Glücklicherweise hatten die tolerante Lehrer, die meinen Sachen gegenüber nicht nur aufgeschlossen waren, sondern sie teilweise sogar selber trugen.“ Dennoch findet er die Modesituation auch heute noch viel zu spießig. „Mode soll Spaß machen, total verrückt und sexy sein“ – so sein Credo.

Und schräg ist seine Mode wirklich: Dessous für den Mann, Hüte aus Kaffeekannenwärmern und Handtaschen aus Persil-Kartons sind die Accessoires, die seine schrillen Outfits ergänzen. Inspirieren läßt Pfefferkorn sich hauptsächlich vom Warenangebot auf dem Flohmarkt. Jede Woche begibt er sich auf die Suche nach ungewöhnlich gemusterten Kleidungsstücken, die er erst in alle Einzelteile zerlegt und dann zu neuen Kreationen zusammenflickt.

Aus Holzfällerhemden schneidert er Hosen; Kinderschlafanzüge, Frisierumhänge und Lätzchen verwandeln sich unter seinen Fingern in Tops für Damen und Herren. Nicht nur abgetragene Klamotten werden en masse gekauft, sondern auch zweckfremde Materialien wie Gardinen, Baustellennetze und Igluzelte. Letzteres benutzten die FlohmarktbetreiberInnen, um ihre Stände vor Regen zu schützen. „Es goß in Strömen, und ich sah überall nur diesen silberfarbenen Zeltstoff – ich mußte ihn einfach haben“, schwärmt Pfefferkorn noch heute von diesem Coup. Bald darauf schon wurden die Zelte zu Hosen und Röcken.

Der Herrenrock – ein bereits vor fünfzehn Jahren schon von namhaften Modemachern propagiertes Kleidungsstück – fristet in unseren Gefilden immer noch ein eher kümmerliches Dasein. Pfefferkorn will das ändern: er bezeichnet sich mit seinem breiten Spektrum an Männerrock-Varianten als den Begründer des „Boylie- Styles“ – sozusagen als längst fälliges Pendant zum mittlerweile fast ausgelutschten Girlie-Style.

Er selbst schwört auf seinen pinkfarbenen, wadenlangen Rock aus bedrucktem Badeanzugmaterial – mittlerweile jedoch nur zu Hause oder nachts auf der Piste. „Nach einer durchgemachten Nacht landete ich eines Morgens im Rock bei einem Neuköllner Bäcker, um Brötchen zu kaufen. Der hat mich doch glatt abgewimmelt und gemeint, an Leute wie mich verkaufe er nichts!“

So ungewöhnlich wie seine Kollektionen sind auch Pfefferkorns Präsentationen. Im Januar gründete er mit seinen Kolleginnen Irene Sang und Jasmin Berlin den „Fashion Club“ im Tränenpalast, eine experimentelle Modenschau mit Techno-DJ, Cocktailbars und Partyflair. Seine letzte Show inszenierte er im Juli in der Spandauer U-Bahnstation. Die Models, die meist von der Straße oder aus Clubs aufgelesen werden, sind dabei weder besonders schön noch schlank oder sonstwie perfekt. Erklärtes Lieblingsmodel ist sein Mitbewohner und Freund Sascha, dessen Körperformen geradezu rubenshaft weiblich anmuten.

Zur Zeit steckt Pfefferkorn bis zum Hals in den Vorbereitungen für seine eigene Show in der New Yorker Webster Hall. Sein Wunsch für die Zukunft: viel öfter in New York arbeiten zu können. „Wenn man in einem New Yorker Club Männer in Frauenkleidern sieht, kann man Gift darauf nehmen, daß sie auch so rumlaufen. Hier verkleiden sich die Leute doch nur, wenn sie abends mal ausgehen.“ Dennoch würde er Berlin nie völlig den Rücken kehren: „Ich würde schrecklich gerne eine lesbische amerikanische Stewardeß heiraten. Dann könnte man ganz billig hin und her jetten...“

Kontakt: Jörg Pfefferkorn, Alt- Moabit 58, Tel.: 0172-206 00 95.

Teil 1 unserer Serie handelte von Next G+U+R+U Now und ist am 9./10.9. erschienen.