Den wilden Autlern Einhalt tun

■ „Das eilige Jahrhundert“ – Ein Geschichte des automobilen Diskurses

„Natürlich die Autofahrer“ und „Der letzte Fußgänger“ hießen Ende der 50er Jahre zwei Heinz- Erhardt-Filme, in denen der dickliche Komiker den ewig nörgelnden Spießer gab, der sich gegen die Durchsetzung des automobilen Fortschritts wandte. Ihr Erfolg fußte nicht zuletzt auf dem heimlichen Stolz der Bundesbürger, endlich auch zu den Autogesellschaften zu zählen.

Kritische Stimmen gegen den Autowahn hatte es schon vor der Jahrhundertwende gegeben, seit die ersten knatternden Gefährte über die Landstraßen donnerten. Sie erklangen auch im Parlament, wie beispielsweise jene des Grafen Cramer im Preußischen Landtag: „Wohl aber müsse dem Umfang der wilden Autler Einhalt getan werden. (...) Die Herren schätzen den Wert ihrer Zeit doch zu hoch ein. Gerade die Landwege sind besonders gefährdet, und die Landbevölkerung ist über die Autler in höchstem Maße erbittert, zumal diese sich, wenn sie etwas angerichtet haben, durch die Flucht der Verantwortung zu entziehen belieben.“ Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Stadt/Land-Konflikt in Sachen Autoneid bald beigelegt, weil nun auch die Landbevölkerung am Wolfsburger Beitrag zum Wirtschaftswunder teilhatte.

In seinem Buch über „Das eilige Jahrhundert“ untersucht Klaus Kuhm vor allem den gesellschaftlichen Diskurs über das Auto, das für Roland Barthes ein Äquivalent der großen gotischen Kathedralen war, eine mit Leidenschaft von unbekannten Künstlern erdachte und vom ganzen Volk benutzte Schöpfung. Semiotische Schwärmereien hin oder her: Autofaszination und Autogegnerschaft standen sich von Anfang an in lautstarken Äußerungen gegenüber. Früh kommt dabei die Rede auf den Autowahn, der mit schulpsychologischer Fundierung und umfangreichem Statistikmaterial als veritables Krankheitsbild weithin Anerkennung gefunden zu haben scheint. Wer leidet nicht unter den regredierten Rasern, die immerzu auf der Suche nach Triebabfuhr sind auf dem Ersatzkriegsschauplatz Straße? Angesichts von Geisterfahrern und jugendlichen Crash-Kids verhallt die Gegenrede vom Straßenverkehr als Musterfall eines weitgehend funktionierenden Regelsystems. Es bleibt dabei: Die anderen Autofahrer sind immer die schlimmsten.

An Michel Foucaults Konzept der Disziplinargesellschaft geschult, sind für Kuhm die Folgen derart vorgetragener Autokritik klar: „Was als ,krank‘ wahrgenommen wird, bedarf selbstredend der therapeutischen Behandlung. Von daher gehen die Vorschläge und Forderungen, die aus diesem Erklärungsansatz abgeleitet werden, häufig in die Richtung, daß für den Straßenverkehr ein schützender Rahmen geschaffen werden müsse, um die Spirale aus unkontrollierter Aggressionsabfuhr, Revanchebedürfnis und gesteigerter Aggressivität in den therapeutischen Griff zu bekommen. Als gäbe es nicht längst eine umfassende, alle Bereiche des Straßenverkehrs durchdringende und regulierende Verkehrsjustiz, Verkehrsüberwachung, Verkehrspädagogik und Unfall- und Verkehrsforschung, werden zusätzliche, umfangreichere Verkehrserziehungsmaßnahmen, verschärfte Strafsysteme, verfeinerte Überwachungsreglements und vermehrte Öffentlichkeitsarbeit angemahnt, um die Wahrnehmungsfähigkeit des Automobilisten in bezug auf andere Verkehrsteilnehmer zu stärken.“

Kuhm beschreibt in seiner materialreichen Arbeit die ordnungspolitische Kraft, mit der sich die Automobilisierung des gesellschaftlichen Raums des 20. Jahrhunderts bemächtigt hat. Sie war der entscheidende Faktor bei der Stabilisierung und Reproduzierung politischer Machtverhältnisse. Das verlief keineswegs widerspruchsfrei. Hitlers Autobahnprojekt beispielsweise stand quer zum nationalsozialistischen Ideologieentwurf. Das Auto entsprang ja der den Nazis verhaßten amerikanisierten Lebensweise und der als „verjudet“ beschimpften Großstadtzivilisation. Im Rausch des Fahrens über Täler und Brücken erlebte Hitler jedoch ein geradezu fliegerisches Fahrgefühl. „... eines haben die Amerikaner, was uns abgeht“, heißt es in den „Monologen aus dem Führerhauptquartier“, „das Gefühl für die Weite und Leere des Raumes.“ Es war dieses auch Hitler beseelende Marlboro-Feeling, das das Autobahnnetz gen Osten verdichtete.

Wie sehr uns das Auto beherrscht, wissen wir seit langem aufgrund fein ausgesponnener Verschwörungstheorien. Kuhms Buch gibt Hinweise, was wir von dieser und jener zu halten haben Harry Nutt

Klaus Kuhm: „Das eilige Jahrhundert. Einblicke in die automobile Gesellschaft“. Junius-Verlag, Hamburg 1995, 234 Seiten, 32 DM