Ich bin nun einmal ein politischer Mensch

■ Volker Schlöndorff über die Dreharbeiten am Kriegsdrama "Der Unhold"

taz: Herr Schlöndorff, die Bedingungen, unter denen Sie in Malbork den „Unhold“ drehen, sind zweifellos andere als jene, die Sie Ende der siebziger Jahre in Danzig bei der Produktion der „Blechtrommel“ vorfanden ...

Schlöndorff: Allerdings, damals wurden wir auf Schritt und Tritt überwacht. Wir konnten zwar drehen, dennoch haben wir gespürt, wie da immer diese übereifrigen Begleitpersonen um uns herum waren. Wie schon die kleinste Sache zum Problem wurde. Heute drehe ich hier in einem freien Land, wir könnten genausogut in Amsterdam oder Paris sein.

Wie manifestiert sich das bei den Dreharbeiten?

Bei der „Blechtrommel“ gab es diese Szene mit den Aalen. Tagelang wollten wir sie drehen, es gab aber einfach keine Aale. Die, die gefangen werden, sind für den Export vorgesehen, hieß es. Da habe ich einem polnischen Requisiteur einen Hundertmarkschein in die Hand gedrückt. Am nächsten Morgen kehrte der prompt mit einem großen Behälter voller Aale vom Hafen zurück. Doch kaum hatten wir angefangen zu drehen, fragte der polnische Produktionsleiter barsch: „Halt, woher haben Sie die Aale? Geht nicht, das ist Bestechung der polnischen Volkswirtschaft. Diese Aale sind für den Export bestimmt.“ Mein hilfloses „Wir haben sie doch schon mit Westmark bezahlt“ half da auch nicht weiter. Solche Geschichten gehören im heutigen Polen der Vergangenheit an.

Wie sind Sie auf die Idee verfallen, den „Unhold“ zu drehen?

Dieser Stoff hat mich an meinen ersten Film „Der junge Törless“ (1965) erinnert, wo auch solche Knaben eine Rolle spielten, zwölf- bis 14jährige Jungs, neugierig auf das Leben, agil wie junge Hunde, phantasievoll. Auf der anderen Seite eine Hauptfigur, die eher ein Außenseiter ist, ein wenig skurril, die ein schräges Licht wirft auf alles, was ihn umgibt. Dazu kommt die historische Komponente; mich interessiert einfach alles, was mit Zeitgeschichte zu tun hat. Ich bin nun mal ein politischer Mensch, ganz egal, ob etwas 50 Jahre her ist. Wenn ich etwa da im Hof der Marienburg bin, Geschichte verarbeite, ist das für mich wie heute: Da ziehen diese Jungs bald in den Krieg, wissen nicht, was sie erwartet ... Die Frage, ob das Ganze eine gute Geschichte hergibt, hat sich für mich noch nicht beantwortet. Der Film ist sehr impressionistisch, es handelt sich eigentlich nur um eine Reihe von Episoden.

Also keine Tragödie mit gewissem Ausgang?

Nein, und das macht mich zugegebenermaßen etwas unsicher. Wie bei all den anderen Projekten ist das hier wie eine Prüfung, nicht nur weil soviel Geld im Spiel ist, sondern auch, weil ich durch meine Arbeit (als Geschäftsführer der Filmstudios in Babelsberg) nicht nur Freunde gewonnen habe. Gerade weil die Arbeit dort eine Pflichtübung ist und der Film hier die Kür, ist die Angst ums Gelingen sehr viel größer. Aber natürlich ist der Spaß größer beim Film: Jeden Tag hat man was Neues gemacht; es existiert, und man kann es sich angucken. Wogegen sich Management nicht anfassen läßt. Längerfristig ist es mein Traum, mich in Babelsberg überflüssig zu machen, um dann auf dem Gelände ausschließlich als Regisseur zu arbeiten. Allerdings muß der Übergang ein fließender sein. Einfach irgendwann das Handtuch werfen, den Koffer packen und nach Amerika gehen – das würde ich als Niederlage empfinden. Also bin ich dort meine eigene Geisel.

John Malkovich ist Ihr Hauptdarsteller. Sind Sie auch der Meinung, europäische Filme funktionieren nur noch mit amerikanischen Zugpferden diesen Zuschnitts?

Ein amerikanischer Schauspieler bringt einen Film nicht zwangsläufig in die US-Kinos. „Homo Faber“ zum Beispiel – das Buch war von einem Schweizer, der Film deutsch und der Hauptdarsteller niemand geringerer als Sam Shepard – ist nie in Amerika gezeigt worden. Für die Europäer hat der Film dafür eine gewisse Einheit geschaffen, einen gemeinsamen Nenner hergestellt.

Sie betreten mit „Der Unhold“ vermintes Gelände: eine Knabenschule der Nazis ist das Milieu, Pädophilie und leuchtende Soldatenaugen, die Faszination Faschismus schwingen da mit. Haben Sie nicht Angst, sich furchtbar in die Nesseln zu setzen?

Nun, das Böse ist immer verführerisch. Aber im Ernst, da reicht doch ein Schnitt auf den John Malkovich, und man weiß sofort, wie der das sieht. Der Zuschauer identifiziert sich ja nicht mit dem Nazi- Zeremoniell, sondern mit dem Kriegsgefangenen, der das alles mit großen Augen wahrnimmt. Der sich sagt: Sicher, das ist schön hier, aber ich bin immer noch ein Kriegsgefangener. Das Spiel mit dem Feuer gehört nun mal dazu – zur Kunst überhaupt, würde ich sagen. Der Film ist schließlich kein politisches Manifest.

Sondern?

Also, mir hat an dem Buch gefallen, daß es ein Märchen zeigt. Deshalb gefällt mir auch der Titel „Unhold“. Das ist ein Begriff aus der Märchenwelt, denn genau wie beim „Erlkönig“ handelt es sich beim „Unhold“ um ein Wort, was in dieser Weise doch keiner benutzt. Rein poetisch. Was also das Verführerische betrifft: Der Michel Tournier hat mich verführt, der Faschismus hatte den Michel Tournier verführt, jetzt werden wir sehen, wer das Publikum verführt – hoffentlich Malkovich.

Der ja offenbar nicht Ihre erste Wahl war ... Wie man hört, hatten Sie sich ganz zu Anfang des Projekts Gerard Depardieu für die Hauptrolle ausgeguckt ...

Zugegeben, das war mein erster Gedanke. Als das nicht klappte – das war vor gut zwei Jahren –, war mein zweiter Gedanke sofort John Malkovich. Heute kann ich mir niemanden anders mehr vorstellen. Weil er so herrlich doppeldeutig ist: Man weiß bei ihm nie, ist er ein Guter oder ein Böser, er kann eiskalt oder mit einem Lächeln jemanden abschießen, etwas Schreckliches tun und einen gleich darauf wieder mit einer menschlichen Wärme gewinnen. Obwohl wir uns schon seit zehn Jahren gut kennen, auch privat viel miteinander verkehren, weiß ich häufig nicht, wie seine Reaktion sein wird, was gerade mit ihm los ist. Er hat ein eigenes Innenleben, ein etwas anderes als die meisten Menschen. Er ist schon ein besonderer Charakter. Schon als er den Biff im „Tod eines Handlungsreisenden“ spielte, hat mir Arthur Miller während der Dreharbeiten bei einer Großaufnahme von John mal gesagt: „He's a killer, he's a real killer. Look at his sweaty face.“ Der perfekte Vatermörder.

Sie mögen offenbar diese tumben Dämonen. Was fasziniert Sie da so?

Abel erscheint so einfältig, aber in Wirklichkeit ist er ein ganz gerissener Typ. Am besten wird das im Film dort sichtbar, wo er die Kinder aus ihren Dörfern auf die Burg holt im naiven Glauben, ihnen was Gutes zu tun; schließlich sollen sie am Ende als Kanonenfutter für die Nazis verheizt werden. Als er aber entdeckt, daß ein jüdischer Junge unter ihnen ist, weiß er nur zu gut, daß und wie er ihn verstecken muß. Mir gefällt, daß Abel kein ausschließlich positiver Held ist.

Das Gespräch führte

Katarzyna Bijas