Greenpeace goes emotional

■ betr.: „Manipulation und Demo kratie“ von Caroline Fetscher, taz vom 12. 9. 95

Caroline Fetscher hat in ihrem inspirierenden Essay zwei Ebenen der Problematik „Greenpeace“ angesprochen, die ein Dilemma der Organisation gleichen Namens ausmachen: politischer Anspruch einer NGO versus Bedürfnisse aller Beteiligten, Aktivisten/Stars, Medien und „Zuschauer“. Zumindest drei Aspekte dieses Dilemmas beziehungsweise der Fetscherschen Lösungsversuche desselben scheinen kritikbedürftig.

1. Wie in anderen Situationen auch, scheinen die beiden genannten Aspekte des Dilemmas bis zu einem Grade in einem kompetitiven Antagonismus zueinander zu stehen: Je unmittelbarer der politische Anspruch zum Ausdruck gebracht wird, desto geringer der Appeal der damit zwangsläufig nüchterneren Aktionsformen. Eine klar formulierte politische Stellungnahme hat im Diskurs der massenmedialisierten Realitätskonstruktionen erheblich geringeren Wert als eine Aktion. Offensichtlich steuert das setting einer Aktion (oder Fetschers „Kulisse“) ein wesentliches Maß zu seiner visuellen Attraktion bei; mehr aber noch die gewählte Aktionsform. Ein stilisierter Kampf zur See, Bewegung, getragen von der mythischen Größe des Ozeans und gespickt mit Szenen dramatischer „echter“ Performance von individualisiert/personifiziert erfolgenden Schlägen, anhand derer in der Tat ein Böser (= Goliath) und ein Guter (= David) sichtbar werden – all diese Elemente haben den maritimen Siegeszug von Greenpeace gekennzeichnet – und sie gehen immobilen Aktionsformen wie Betriebs- oder Geländebesetzungen, Ankettungen etc. ab. Der Appeal einer Aktionsform ist abhängig vom Grad ihrer Dramatisierung, samt der dieser inhärenten Prinzipien, wenn es sich um medialisierte Spektakel für ein Massenpublikum handelt: Bewegung hat hier einen höheren Wert als Stillstand, Fläche und Nachgiebigkeit des Wassers wirken intensiver als Dickicht und Härte von Urwald/ Steppe/Baumstamm/Schornstein, Uniformierte und Walfänger signifizieren Macht deutlicher als Monumente und Stahl etc.

2. Caroline Fetscher kritisiert die Fixierung nicht nur der Publika (Medien und „Zuschauer“), sondern auch die Aktivisten selbst auf spektakuläre Aktionen. Sie fordert eine „Repolitisierung“ der Organisiation, die sich auch in den Formen ihrer Aktionen ausdrücken würde. In diesem Zusammenhang fordert sie den „Angriff [auf] das Herz der Konzerne“. Sehen wir davon ab, daß ein solches „Herz“ wohl auch weiterhin eher in den Staaten des Nordens denn in den Peripherien der Kapitalakkumulation zu lokalisieren sein wird, gibt die Autorin an dieser Stelle deutlich zu erkennen, daß sie von den „zeithistorischen“ Umbrüchen unberührt immer noch recht genau zu wissen scheint, wer denn der eigentliche Feind sei. Ob die Bestimmung eines solchen Feindes angemessen ist, kann sich nur im Laufe eines politischen Diskurses ergeben. Eine solche Identitätszuschreibung weicht aber ihre – angezeigte! – Kritik der trendiness, oder des Sex-Appeal (der Aktionen) von Greenpeace erheblich auf: Fetscher selbst scheint weiterhin über einen „vertrauten Antagonismus“ und ein „bequemes Freund- Feind-Schema“ zu verfügen.

3. So sinnvoll eine (Re?)Politisierung der Organisation erscheinen mag, so deutlich ist auf eine prinzipielle Trennung dieses Prozesses von den Aktionsformen zu bestehen. Die in den Medien am breitesten repräsentierten Aktionen – eben jene zur See – haben Greenpeace vor allem dreierlei gebracht: Aufmerksamkeit, Reputation(en) und Geld. Für diese Wirkungen war meines Erachtens die Stimmigkeit der Aktionsformen mit den Bedürfnissen von Medien und „Zuschauern“ ausschlaggebend, Bedürfnissen nach Unterhaltung, Action, Konstruktionen von Freunden und Feinden u.ä.m. Diese Bedürfnisse sind im engerren Sinne unpolitisch – und sie sollten es bleiben! Greenpeace würde in das Fahrwasser der demagogischen Konstruktionsverfahren des Faschismus geraten, wenn die Organisation versuchte, aus der emotionalen Anziehungskraft ihrer Aktionen politisches Kapital zu schlagen. Der politische Diskurs wird nicht ohne emotionale Anteilnahme geführt, aber die Abhängigkeit politischer Macht von spektakulären Aktionen, die dazu geeignet oder bestimmt sind, in den Massen Gefühle von Ordnung, Aktion und Gut-/Böse-Divisionen zu erregen beziehungsweise zu befriedigen, ist verhängnisvoll. Also: Entweder bleibt die Organisation ein politisch unbedeutendes aber kommerziell erfolgreiches Unternehmen mit ethisch-grünem Anstrich, das maßgeblich auf die „unpolitischen“ Bedürfnisse seiner Spender ausgerichtet ist und sich seinem mangelnden Mandat entsprechend einer weitergehenden politischen Strategie enthält. Oder Greenpeace politisiert sich, büßt dafür an Einfluß bei den Massen und Medien ein und geriert sich zu einem (effektiveren?) Instrument der Inskriptionen politischer Freunde und Gegner für eine kleinere Anhängerschaft. Ob die Wahl dieser letztgenannten Alternative an sich bereits die von Caroline Fetscher in Aussicht gestellte politische Glaubwürdigkeit erhöhen würde, könnte sich allerdings erst in der Praxis erweisen. Konflikte wären jedenfalls vorprogrammiert, beispielsweise in den Fragen, ob zum Umweltschutz auch der Schutz der Menschenrechte zählt, wie mit Guerilla-Angriffen auf Öl-Pipelines zu verfahren sei. etc. Ralph Kirch, Berlin