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Der doppelte Krieg

Warum die 17jährige Belma über Nacht alt geworden ist – und was sie nach München verschlagen hat  ■ Von Bascha Mika

Der Tag danach ist der schlimmste. Dann macht er mit ihr, was er will. Er bringt sie zum Kotzen, und es bleibt nichts als Schwäche. Sie haßt ihn dann. So, wie man jemanden verabscheut, der den Tyrannen spielt. Ihr krebskranker Körper führt Krieg gegen sie. Am Tag nach der Bestrahlung geht es Belma besonders schlecht.

Heute ist so ein Tag. Still sitzt sie auf einem der zwei Stühle in ihrem Zimmer, die Arme verschränkt. Vor ihr auf dem Tisch ein weiß- rosa Schaf, daneben ein lila Löwe – Kuscheltiere. Überall im Zimmer hocken, hängen, hoppeln sie, ein ganzer Zoo. Auf Belmas Gesicht liegt eine kalte durchsichtige Blässe, die Augen rund, braun und kindlich, das Profil etwas scharf – zu scharf für eine 17jährige.

Noch im Juni ging Belma zur Schule, da wußte sie nichts von Krebs. Dann die Diagnose. Ein paar Tage später packten sie und ihre Mutter ein paar Sachen in einen Koffer, verabschiedeten sich von Vater und Schwester, verließen bei Dunkelheit das Haus und liefen an den Rand des Stadtzentrums. Sie mußten durch einen Tunnel – 600 Meter stockiger Gang unter der Erde. An manchen Stellen ist der Tunnel so niedrig, daß nur ein Gnom aufrecht stehen könnte. Die muffige Enge nahm ihnen den Atem, der Moder klebte auf ihrer Haut, aber es war der einzige Weg heraus. Belma kommt aus einer belagerten Stadt.

Aus Sarajevo.

„So richtig Angst hatte ich damals eigentlich nicht“, sagt Belmas Mutter. Sie sitzt nah bei der Tochter, eine Frau um die vierzig, mit einem noch jungen Gesicht – und vollständig grauen Haaren. „Natürlich war es gefährlich. Es gab gerade wieder eine serbische Offensive, und die Stadt wurde mit Granaten beschossen.“ Ein kurzer Blick streift die Tochter, dann stellt die Mutter fast nüchtern fest: „Es ging darum, Belmas Leben zu retten oder in Sarajevo zu bleiben und sie sterben zu lassen.“

In der bosnischen Hauptstadt herrscht seit vier Jahren Ausnahmezustand. Schon die einfache medizinische Versorgung gelingt kaum, geschweige denn eine komplizierte Krebstherapie. Es fehlen die Geräte, die Medikamente, und die Krankenhäuser werden beschossen. Belma wußte längst, was Krieg ist. Doch Krieg war für sie etwas, das sich draußen abspielte. Jetzt mußte sie den Kampf im eigenen Körper aufnehmen. In Sarajevo konnte ihr niemand dabei helfen.

Die Mutter erzählt, Belma rührt sich kaum. Über ihre Krankheit will sie nicht reden, auch nicht darüber, welchen Krebs sie hat. Ihre Augen glänzen sehr wach, plötzlich mischt sie sich ein. „Wir Jugendlichen in Sarajevo reden nicht viel über Politik oder den Krieg.“ Ihre Stimme ist seltsam flach, das Sprechen scheint sie einiges zu kosten. „Ganz blöd ist, daß wir nicht richtig raus können. Meist haben wir zu Hause oder in den Kellern gehockt, und die Eltern sind immer ganz wild geworden, wenn wir uns irgendwo treffen wollten.“

Ein kurzes, freches Hamsterlächeln zeigt sich auf ihrem Gesicht, und so ein leiser Trotz ist unüberhörbar. „Wir sind trotzdem in die Cafés gegangen, klar war das ein Risiko.“ Belma erinnert sich allzu genau, wie direkt neben ihr ein Mann auf der Straße niedergeschossen wurde. Heckenschützen.

Es fehle an allem in Sarajevo, aber den Jugendlichen fehle noch einiges mehr: die Klamotten, die Musik, die Discos. „Aber am schlimmsten ist das mit der Freiheit. Wenn du die nicht hast...“ Was dann? „Haß ist schon da. Nicht gegen die Serben. Meine beste Freundin ist Serbin, und die Ärztin, die mich behandelt hat. Haß gibt es gegen die Tschetniks.“

Um dem Kessel von Sarajevo zu entkommen, marschierten Mutter und Tochter dreißig Stunden zu Fuß, wurden mal mit einem Jeep, mal von einem Laster mitgenommen, ließen sich von Verwandten weiterhelfen. Im kroatischen Split kauften sie Tickets und stiegen in ein Flugzeug nach München. In der Tasche hatten sie die Adresse des „Zentrums für Verwundete“, einer Einrichtung des bosnischen Konsulats in München. Und ein Visum der Deutschen Botschaft in Zagreb. Vermerk: „Nur gültig zur Krankenbehandlung. Gewerbeausübung und Arbeitsaufnahme nicht gestattet.“

Seit drei Monaten wird Belma im Münchener Klinikum Großhadern chemotherapeutisch behandelt. Ihr langer, schmaler Körper steckt in Jeans und Sweatshirt, die Füße in Turnschuhen, über den Kopf hat sie eine Baseballkappe gezogen. Die Kappe ist auch Schutz, Belmas Haar ist durch die Strahlen licht geworden.

Belma wird ambulant versorgt. Jeweils einen Tag bleibt sie im Krankenhaus unter Beobachtung, dann darf sie wieder nach Hause. Nach Hause heißt: ein Zimmer mit Tisch, zwei Stühlen, Doppelbett und Plüschtierzoo im „Zentrum für Verwundete“. „Heiter“ sei die Stimmung im Haus, meint Belmas Mutter, so heiter wie eigentlich auch ihre Tochter sei.

Das Zentrum ist eine ehemaligen Kaserne, die vom bosnischen Konsulat als Transitheim für kriegsverletzte Landsleute eingerichtet wurde. Wer hier lebt, macht Ferien vom Krieg.

Aber Belma ist eigentlich keine Kriegsverletzte. „Doch!“ sagt die Mutter. Wie solle ein Kind in Sarajevo gesund bleiben? Die Familie wohne gegenüber einem Krankenhaus. Ständig habe das Mädchen mitangesehen, wie Menschen eingeliefert worden seien – von Granaten verstümmelt, mit blutenden Schußwunden. Dieses Grauen sei mitverantwortlich für den Krebs. „Es ist der Krieg, der Belma krank gemacht hat!“

Die Mutter sieht ihre Tochter an, die schaut schüchtern zurück. „Der Krieg“, sagt Belma, „hat mich über Nacht alt gemacht.“

Und ihre Zukunftspläne? In Sarajevo hat kürzlich die Schule wieder angefangen. „Ich hätt' schon Lust, zur Schule zu gehen“, behauptet Belma brav, „viel lieber in Sarajevo, aber zur Not auch hier.“ Wieder zeigt sie ihr Hamstergrinsen. Dumm bleiben wolle sie schließlich nicht – studieren möchte sie, Zahnärztin werden.

Acht Monate soll Belma behandelt werden. Solange ist auch ihr Visum gültig. Dann muß sie zurück nach Sarajevo. Und das will sie auch. „Vielleicht“, hofft sie, „ist der Krieg ja vorbei, wenn ich nach Sarajevo zurückkomme.“

Vielleicht.

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